Fassungslos stehe ich jetzt bereits zum fünften Mal an der Hotel-Rezeption: Vor zwei Stunden bin ich angereist und möchte einfach nur unser Abendessen buchen. Doch die zwei Mitarbeiter sind mit diesem Routinevorgang völlig überfordert. Ob die Rezeptionisten ahnen, welche inneren Filme gerade in mir als Kunden ablaufen?

servicekultur

Servicekultur fällt meist auf, wenn sie nicht gelebt wird

Mit meiner Frau bin ich im Hotel Pestana Viking: Ein solides 4-Sterne-Resort direkt an einer Bucht der Algarve. Jetzt im November freuen wir uns über den wolkenlosen blauen Himmel und angenehme 21 Grad. Eine Woche Urlaub, abschalten, auftanken, mehr nicht.

Die Inhaberfamilie Pestana legt einen hohen Wert auf Servicekultur. Im letzten Jahr habe ich gleich zweifach in einem ihrer Hotels auf Madeira gewohnt – einmal beruflich und einmal privat. Die Begegnung mit den Mitarbeitern ist mir derart positiv in Erinnerung geblieben, dass ich mich auch an der Algarve auf ein positives Erlebnis freue.

Doch schnell wache ich auf dem harten Boden der Realität auf: Erst beim sechsten Besuch an der Rezeption – es ist mittlerweile Tag zwei meines Urlaubs – kann ich die notwendigen Voucher für das Abendessen kaufen. Alle sind fein säuberlich abgestempelt und unterschrieben. Ich frage mich, welcher bürokratische Aufwand hinter den Kulissen betrieben wurde, um diese Papiere für mich zu erstellen?

Wenn Bürokratie das Gästeerlebnis schmälert

Im Restaurant dagegen scheint sich niemand für die Voucher zu interessieren. Fragend schaut mich der Mitarbeiter an, als ich ihm auch für das Frühstück unsere Papiere überreiche. Vor ihm liegt eine Liste mit allen Gästenamen, die Halbpension gebucht haben. Warum also dieses Formular?

Nachdem die bürokratischen Hürden überwunden sind, möchte ich zum Abendessen einen Wein bestellen. Freundlich bringt mir der Servicemitarbeiter eine Karte: Alle Namen nur auf Portugiesisch. Ich frage nach den Weinsorten? Schulterzucken. Dann nach einer Empfehlung? Schnell wird mir klar, der junge Mann hat keine Ahnung. Gibt es ihm Restaurant einen Kollegen, der sich auskennt? Fragende Augen. Dann folgt der Auftritt einer Kollegin, auch sie scheint sich mit Wein nicht auszukennen. Empfiehlt schließlich den billigsten Wein auf der Karte. Ok.

Doch als am Büffet Plastiklöffel ausliegen, werde ich zunehmend stutzig: Fast-Food-Besteck im feinen Abendrestaurant? Ich frage den Ober nach einem “richtigem” Löffel, dann zuckt auch er mit den Schultern. Ich bleibe immer noch freundlich, bis schließlich wortlos die Weinflasche auf den Tisch gestellt wird. Schnell ist der Kellner wieder weg, doch die Gläser fehlen. Spätestens in diesem Moment wird klar, dass wir in einer portugiesischen Servicewüste gelandet sind.

Südländisches Laisser-faire oder einfach Schlamperei?

Am nächsten Morgen: Ein Gast beschwert sich beim Frühstücksbüffet. Es gebe zwar jeden Morgen gekochte Eier, aber keine Becher! Soll er das Ei in der Luft köpfen? Der Oberkellner zuckt mit den Schultern, das sei nicht sein Problem, wenn alle Becher weg wären. Er solle doch am Tisch fragen, bei den Leuten, die einen Becher haben. Schnell verlasse ich den Raum und setze mich auf die Sonnenterrasse: Jetzt bin ich im Urlaub, das geht mich alles nichts an!

Zurück im Zimmer suchen meine Frau und ich nach einem Bademantel, um in den Wellnessbereich zu gehen. Schade, leider keiner da. Also schnell an die Rezeption. Die Mitarbeiterin nickt, notiert den Namen und verspricht ihn auf das Zimmer schicken zu lassen. Wir warten und üben uns Geduld. Doch auch nach sechs Stunden ist immer noch kein Bademantel angekommen. Auf dem Flur treffe ich ein Zimmermädchen, sie spricht nur Portugiesisch, lässt mich aber einen Blick in die Besenkammer werfen: Mit Zeichensprache versteht sie was ich will: Zwei Bademäntel – mehr nicht!

Wer bereits gute Erfahrungen mit dem Unternehmen gemacht hat, vergleicht

Servicekultur sieht anders aus, denke ich und erinnere mich etwas wehmütig an die positiven Erfahrungen, die einem Hotel derselben Kette auf Madeira gemacht habe. Woran liegt es, dass beide Häuser so unterschiedlich mit ihren Gästen umgehen?

Am dritten Tag werde ich mit meiner Frau zu einem Kaffee-Empfang für die neu angereisten Gäste eingeladen. Zwei Manager begrüßen aufs Herzlichste und fragen uns nach dem Ergehen? Kurz schildere ich die ersten Beobachtungen, danach großes Erstauen und das Angebot zu einem persönlichen Gespräch. Meine Frau und ich nicken und stimmen zu.

Sie werden lachen: Bis zu unserer Abreise warten wir vergeblich auf die angekündigte Feedback-Runde. Keine Nachricht im Zimmer, die beiden Herren sehen wir nicht wieder. Auch so kann man die Rückmeldung von Gästen im Nirvana verlaufen lassen. Nach dieser Erfahrung wird mir als Gast endgültig bewußt: Es liegt am Management dieses Hauses, das hier eine so schlechte Servicekultur gelebt wird.

Warum ignoriert eine Firma das Feedback ihrer Gäste?

Ganz offensichtlich scheint es den Chefs egal, mit welchen Erfahrungen die Gäste nach Hause gehen. Ich erinnere mich an meine Gespräche mit Manfred Lippert, dem Hoteltrainer der Steigenberger Gruppe. Seit 30 Jahren trainiert er die Servicekultur in den zahlreichen Häusern. Von ihm weiß ich, welcher Aufwand hinter den Kulissen notwendig ist, damit der Gast eine positives Gesamterlebnis mit nach Hause nimmt.

Natürlich gelten in einem Grandhotel der 5-Sterne-Kategorie andere Standards als in einem 4-Sterne-Strand-Resort: Doch die Grundhaltung sollte in beiden Welten so wertschätzend sein, dass die Servicekultur als stimmiges und positives Gesamterlebnis in Erinnerung bleibt.

Mein Best-Practice Tipp

Überprüfen Sie auch als mittelständischer Chef immer wieder die Servicekultur Ihres Unternehmens: Bitten Sie Ihre Kunden um eine kurze Bewertung und diskutieren Sie mit Ihren Mitarbeitern über dieses Feedback. Welche Konsequenzen ziehen sie daraus?

Überprüfen Sie die Arbeitsabläufe auch nach bürokratischen Hürden: Wo wird das Kundenerlebnis durch unnötigen “Papierkram” gestört?

Bitten Sie Ihre Mitarbeiter darum, über Reklamationen gezielt Buch zu führen: Was wurde von den Kunden bemängelt? Werten Sie diese Notizen in regelmäßigen Meetings aus. Entwickeln Sie gemeinsam im Team ein Fehlerkultur.

PS: Tag sieben unserer Reise

Bereits vor dem Auschecken kommt eine Nachricht aufs Handy: “Sehr geehrte Gaeste, wir hoffen Sie hatten einen schönen Urlaub in unserer Pestana Ferienanlage. Ihre Bewertung bezüglich unseres Services und dier Freundlichkeit unseres Personals ist uns sehr wichtig.”

Ich nehme mir fünf Minuten Zeit für ein differenziertes Feedback, doch meine Erwartungen sind minimal. Meine Kontaktdaten hat das System bereits eingetragen, auch die Zimmernummer und die Urlaubszeit. Dennoch glaube ich nach diesen Erfahrungen nicht mehr, dass sich ein Mitarbeiter der Hotelfamilie Pestana bei mir melden wird.

Der Autoresponder verspricht, mein Feedback würde an das Management geschickt. Jetzt überfällt mich ein ungläubiges Schulterzucken. Nach den bisherigen Erfahrungen wohl eher nicht!

Welche Erfahrungen machen Sie?

Ich freue mich auf Ihre Kommentare…