Ich bin ein neugieriger Mensch: Neugierig auf das Leben und den Erfahrungschatz von anderen. Deshalb liebe es auch mit anderen Menschen ins Gespräch zu kommen. Damit es gelingt, braucht es eine offene Herzenshaltung und gute Fragen.

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Zeigen Sie Neugierde

Schon als junger Journalist habe ich gelernt, dass mich geschlossene Fragen nicht weiterbringen: Auf Bestätigungsfragen kommt meist ein kurzes Ja oder Nein. Offene Fragen dagegen bieten dem Gegenüber viel Freiraum, um von sich so viel zu erzählen wie er möchte.

Entscheidend ist ein ehrliches Interesse am Gegenüber. Ob flüchtige Bekannte oder Freunde – Ihr Gegenüber spürt, ob Sie wirklich Interesse an einem Gespräch haben. Eine gute Möglichkeit sind Erlebnisfragen: “Wenn Sie an den ersten Tag in der Firma zurückdenken – was fällt Ihnen zuerst ein?”

Ich persönlich liebe auch Motivationsfragen: “Warum sind Sie nach Nordhessen gezogen?” In der Antwort erkenne ich die Werte meines Gegenübers und kann im weiteren Gespräch tiefer darauf eingehen.

Mut zum Nachfragen

Mitunter erlebe ich im Gespräch, dass zwei gut gewählte Fragen in ein sehr tiefen Dialog führen können. Hier braucht es Fingerspitzengefühl und Empathie, um weitere Fragen zu stellen. Für mich spielt immer dabei das Setting eine wichtige Rolle. Wenn ich beim Stehempfang sehr schnell Tiefgang spüre, muss ich gut überlegen, ob und wie ich nachfrage.

Das ist besonders dann wichtig, wenn ich bei meinem Gegenüber einen Schmerzpunkt spüre. Bei fremden Menschen würde ich das Gespräch eher auf eine leichtere Ebene führen oder intuitiv über eigene Erlebnisse sprechen, um dem anderen Luft zum emotionalen Durchatmen zu schenken.

Im Freundeskreis habe ich den Mut behutsam nachzufragen: “Wie geht es dir damit?” Damit kann ich den Hintergrund besser erfassen und Verständnis zeigen. Mitunter ernte ich dann einen großen Redeschwall, vor allem dann, wenn ein emotionales Fass aufgemacht wurde. An dieser Stelle versuche ich, das Gespräch in Richtung einer Lösung zu lenken: “Wie willst du die Situation lösen?”

Systemische Fragen

Am letzten Wochenenden habe ich eine Gruppe von sechs Führungskräften begleitet. Mit jedem Teilnehmer hatte ich drei Einzelcoachings, um neue Klarheit für 2023 zu finden. In diesen Gesprächen nutze ich gerne systemische Fragen. Dabei greife ich nicht nur einzelne Aspekte auf, sondern versuche den Blick auf das große Ganze zu richten.

Mit Skalierungsfragen kann ich ein komplexes Themenfeld sehr gut eingrenzen: “Wie bewerten Sie die Qualität dieser Beziehung auf einer Skala von 0 bis 10?” Damit gelingt es in kürzester Zeit, dass mein Gegenüber zu einer realistischen Einschätzung kommt. Gleichzeitig wird klar, in welchen Bereichen Handlungsbedarf besteht.

Im Coaching nutze ich auch zirkuläre Fragen: Damit frage ich unterschiedliche Perspektiven ab: “Was würde Ihr Partner dazu sagen? Wie erleben Ihre Freunde diesen Schritt?” Oder bei älteren Menschen: “Was lernen Sie von Ihren Enkeln?”

Alles wirkliche Leben ist Begegnung

Auch wenn das Fragestellen wie eine Technik klingt: Für mich sind sie nur ein Mittel zur Begegnung. Ich will meinem Gegenüber auf Augenhöhe begegnen. Ihn ermutigen, sein Herz zu öffnen, damit echter Dialog entsteht. Fragen sind für mich auch ein Zeichen von Wertschätzung: Ich frage, weil du mir wichtig bist.

Gute Fragen entscheiden darüber, ob Beziehungen dauerhaft gelingen. Meine Frau und ich verabreden uns regelmäßig zu einem Gespräch über unsere Beziehung als Paar: Was bewegt den anderen? Mit welchen Herausforderungen kämpfen wir gerade? Was macht uns glücklich?

Von Martin Buber gibt es einen inspirierenden Satz: “Alles wirkliche Leben ist Begegnung”. Solange dies in einer Beziehung gelingt, bleibt sie nach meiner Erfahrung vital: Beide spüren, wie viel Energie jede aufrichtige Begegnung schenkt.

Doch etliche Freunde spiegeln mir, dass es in ihrem Leben nur noch wenige Menschen gibt, die wirklich nachfragen und wissen wollen, wie es ihnen geht. An dieser Stelle wird ein Dilemma deutlich: Ohne aufrichtige Fragen und einen ehrlichen Dialog gerät manche Beziehung in eine Sackgasse.

Wenn ich nur noch zum Abladeplatz für den Frust des anderen werde, kann die Beziehung leicht in Schieflage geraten. Wie oft habe ich schon gehört: “Meine Freundin will nur von sich erzählen, lädt bei mir ihren emotionalen Müll ab. Doch wenn ich ehrlich bin: Sie interessiert sich nicht wirklich für mich und wie es mir im tiefsten Inneren geht”.

Eine Balance im gemeinsamen Dialog

Leider habe ich dies selbst bei einem langjährigen Freund erlebt, den ich seit 35 Jahre kenne. Über lange Strecken war ein guter Dialog möglich, doch mit zunehmendem Alter spricht er nur noch über sich. Es kann passieren, dass er knapp 60 Minuten aus seinem Leben berichtet und erst zum Schluss kurz nachfragt: Wie geht es Ilona und dir?

Doch an einer ehrlichen Antwort scheint er in letzter Zeit nicht mehr interessiert. Ihm reicht es, dass ich ihm zugehört habe. Seit einiger Zeit beobachte ich, dass ich gar keine Lust mehr spüre, mich zu öffnen. Ich antworte kurz “uns beiden geht es gut”, dann beendet er das Gespräch: “Es war schön, mal wieder mit dir zu sprechen.”

Aus seiner Sicht verständlich – für mich unbefriedigend. Deshalb rufe ich ihn seit einem Jahr nicht mehr an. Gleichzeitig vermisse ich die frühere Qualität unserer Beziehung. Doch ehrlicher Austausch ist ein Geschenk – ich kann es nicht einfordern.

Mein Credo: Um gute Beziehungen zu pflegen braucht es Balance im gemeinsamen Dialog. Mit guten Fragen, die im Nachhinein wie Küsse schmecken – so der Titel eines Ratgebers. Ein gegenseitiges Geben und Nehmen, eine Ausgewogenheit – nicht zwangsläufig bei jedem Gespräch – aber in der Gesamtheit.

Nun bin ich gespannt auf Ihre Erfahrungen und freue mich auf Ihre Kommentare…