„Schon wieder ein Monat rum“ sagt eine Bekannte. Ich nicke und denke über die Aufgaben nach, die in den letzten Wochen liegengeblieben sind. Doch dann merke ich: Das ist die falsche Strategie. Wenn ich meine Leistung steigere, erhöht sich nicht automatisch auch mein Glück.

Neue Zufriedenheit finden
Hermann Hesse hat 1907 ein Gedicht geschrieben: „Solange du nach dem Glücke jagst, bist du nicht reif zum Glücklichsein.“ Ich frage mich, wie komme ich den glücklichen Zustand? Wie finde ich innere Zufriedenheit?
Viele Menschen suchen ihr Glück im Ausland. Das Reisen boomt. Trotz Inflation wird für den Urlaub sehr viel investiert. Die Reiseveranstalter locken mit einsamen Stränden. Doch wie soll das gehen: TUI hat aufgrund der großen Nachfrage 300.000 zusätzliche Plätze ins Programm genommen.
Die Branche lebt von der Sehnsucht nach Reise-Glück und nutzt dazu das berufliche Vorwärtsdrängen. In kurzer Zeit möglichst viel erleben. Das Getriebensein, das viele aus dem Alltag zuhause kennen, bestimmt auch im Urlaub den Takt: Aktion und Abenteuer – so viel nur geht. Doch bringt es auch das erhoffte Glück?
Selbstgenügsamkeit
In „Psychologie heute“ habe ich heute ein interessantes Zitat gefunden: „Im ständigen Getriebensein entfernen sie sich immer weiter und weiter von sich selbst.“
Professor Tobias Esch hat ein Buch mit dem passenden Titel geschrieben: „Mehr nichts“. Der Mediziner thematisiert die Selbstgenügsamkeit. Sie ist nach seiner Ansicht „die Basis für Zufriedenheit uns das Bei-sich-Ankommen“, so Esch.
Ich liebe dieses Wort: Selbstgenügsamkeit. Das ist das genau Gegenteil von „immer, höher, weiter und schneller.“ Ich höre auf mein Leben ständig zu optimieren und bin zufrieden mit dem, was gerade ist.
Über das Internet mit der ganzen Welt vergleichen
Tobias Esch lädt ein, inne zu halten. Das ist der Gegenentwurf zu Instagram, wo sich viele nicht mehr „nur mit den Nachbarn und Nachbarinnen, sondern über das Internet mit der ganzen Welt vergleichen.“
Für mich hat dies sehr viel mit innerer Heimat zu tun. „Dass ich bei mir zu Hause sein kann“, wie es Esch ausdrückt. Ich kenne meine Identität, weiß wer ich bin und kann mich „als Teil eines großen Ganzen fühlen.“
Zurück zu Hermann Hesse, der bereits vor 120 Jahren dem Glück auf der Spur war. „Solange du nach dem Glücke jagst, bist du nicht reif zum Glücklichsein.“ Ich glaube an dieser Stelle bestätigt die heutige Glücksforschung die Erkenntnis des Dichters.
Tobias Esch betont, dass man dafür gerade nichts zu tun brauche, sondern „lassen“ müsse. Der erste Schritt: Ich erkenne, wo ich selbst noch getrieben bin. Ich brauche Zeiten der Reflexion, um mich selbst und meine inneren Muster zu erkennen.
Sehsucht nach Spiritualität
Der zweite Schritt: Ich überwinde meinen Egoismus und strebe nach etwas Größerem, dass über mein Leben hinausweist. Diese Erkenntnis hat der bekannte Psychologe Abraham Maslow geteilt, dessen Bedürfnispyramide vielen vertraut ist.
„Jeder Mensch ist ein Mystiker“ heißt ein Sammelband mit seinen Arbeiten. Dabei ist der Gedanke der Mystik seit Hildegard von Bingen über Jahrhunderte vertraut. Die mittelalterliche Gelehrte war geprägt von einem „Bewusstsein von Gottes unmittelbarer Gegenwart.“
Auch Martin Luther sprach über Menschen, die auf sich selbst verkrümmt sind, statt sich auf Gott oder auf etwas Größeres auszurichten. Doch in einer postchristlichen Kultur fällt es schwer, sich mit dem Gedanken auseinander zu setzten.
Schweige-Reatreats boomen
Obwohl der Tod in tausenden von Krimis präsent ist, verdrängen wir häufig die zentrale Frage, was nach unserem Tod passiert.
Der Religionspsychologe Michael Utsch erklärt, dass Spiritualität „heute viel diverser ausgelebt wird als zu Luthers Zeiten.“ Der religiöse Mensch beziehe sich auf Gott, der spirituelle auf Energie und der säkulare auf Natur – so seine Definition.
Psychologie Heute berichtet, dass „Stillewochenenden und Schweigeretreats im Moment kaum zu bekommen sind, weil die Nachfrage so groß ist.“
Bei-Sinnen-Sein
Auch im Schäferhaus bieten wir ganzjährig Retreats an. Wir laden die Teilnehmer ein, Urlaub mit sich selbst zu machen. Bieten persönliche Coachingeinheiten und kreative Auszeiten an, um wieder sich selbst, die Sinnlichkeit im Alltag zu entdecken.
Ich bin überzeugt: Dieses „Bei-Sinnen-Sein“ ist eine wichtige Resource. Beim Waldbaden die Schönheit der Natur zu erkunden. In einem begrenzten Radius Innehalten statt viele Kilometer zu machen. Achtsamkeit statt Leistung einüben.
Doch nach meiner Beobachtung braucht es mitunter eine Krise, ein Bandscheibenvorfall, einen plötzlichen Tod im Freundeskreis, um umzudenken. So wie bei Harald Welzer. In seinem Buch „Nachruf auf mich selbst“ verarbeitet er den eigenen Herzinfarkt.
Im Blick auf die Endlichkeit des Lebens wurde ihm bewußt, wie absurd die Selbst-Perfektionierung sein kann. „Wachstum erscheint im Anblick des Todes sinnlos.“
Zurück zu meiner Eingangsthese: „Fürs Glück muss man nichts tun, sondern lassen.“