Der Papst ist tot und ein neues Wort macht die Runde: Beerdigungs-Narzismus. Besonders beliebt mit Hashtag. Das neue Social-Media-Phänomen. Gemeint sind Menschen, die sich bei einer Beerdigung selbst knipsen und ihre Trauer zur Schau stellen.
Selfies at Funerals
Da steht er staatsmännisch und nachdenklich auf dem Petersplatz. Eines von fünf Fotos, die Markus Söder auf seinem Instagram-Kanal veröffentlicht hat. Ein neuer Beitrag in der Kategorie “Selfies at Funerals”.
Kurz darauf gibt es interessante Kommentare: “Rom, ewige Stadt, Schauplatz endlicher Eitelkeiten. Ein Papst liegt aufgebahrt, das Abendland verneigt sich – und Markus Söder lächelt in die Kamera, als hätte er gerade eine Maß Bier gewonnen.”
Während bei jungen Menschen, die auf dem Weg zu Omas Beerdigung sind, eher Unsicherheit zu spüren ist, wenn sie einen Selfie aufnehmen, ist es hier eine mediale Inszenierung.
Doch das Phänomen ist nicht neu. Bereits 2013 gab es eine mediale Diskussion, als Barack Obama ein Selfie bei der Trauerfeier von Nelson Mandela aufnahm.
Wenn eine Person des öffentlichen Lebens stirbt
Die Beerdigung von Papst Franziskus war ein mediales Weltereignis. Rund um den Globus haben die Medien darüber tagelang berichtet. Bereits am Tag nach seinem Tod hat der Vatikan selbst Bilder vom Papst im offenen Sarg veröffentlicht.
Gleichzeitig wurden die Besucher im Petersdom gebeten, keine Selfies von sich und dem Toten aufzunehmen. Eine Bitte, die jedoch von vielen Menschen ignoriert wurde. Damit bin ich beim Kern meines Beitrags.
Rechtlich ist es sicherlich unproblematisch, wenn eine Person des öffentlichen Lebens in einem öffentlichen Raum – auch nach dem Tod – aufgenommen wird. Doch die Inszenierung der eigenen Trauer – genau darum geht es bei einem Selfie – kann die Gefühle von anderen Trauernden verletzten.
Für mich persönlich geht es um die Frage: Wieviel Intimität, wieviel Schutz braucht ein Mensch im Moment des Abschiedes? Mir ist bewußt, dass es einen gravierenden Unterschied zwischen der offenen Bühne des Petersdomes und dem Abschiedsraum eines privaten Beerdigungsinstitutes gibt. Doch die Frage des Respekts bleibt.
Die Bitte des Vatikans sich selbst nicht am offenen Sarg fotografieren ist ein Appell, die Würde des Verstorbenen und die Privatsphäre der Mittrauernden zu respektieren.
Der lächelnde Bundespräsident
Es gibt noch einen Selfie von Markus Söder: Gemeinsam mit Frank-Walter Steinmeier, unserem Staatsoberhaupt. Wären da nicht die schwarzen Krawatten – man könnte glauben, die beiden wären auf einem fröhlichen Betriebsausflug.
Ein Nutzer bringt es pointiert auf den Punkt: “Der moderne Staatsmann reist nicht mehr, um Anteil zu nehmen – er reist, um Content zu produzieren. Zwischen Sakrament und Selfie passt heute ein ganzes Wahlprogramm. Der Tod eines Papstes, Anlass für Trauer und Andacht? Nein. Anlass für einen kurzen Stopp auf dem Highway der Selbstvermarktung.”
Nun habe ich kein Problem, wenn zwei Berufspolitiker in der Regierungsmaschine nach Rom eine gute Zeit und auch Spaß haben. Doch müssen sie ihre gute Laune wie eine Monstranz vor sich hertragen, wenn Millionen von Katholiken um ihren Oberhirten trauern?
Persönlichkeitsrechte auch nach dem Tod?
Lassen Sie mich zum Schluss noch ein persönliches Beispiel anfügen: Kürzlich bekam ich von einem Freund per WhatsApp das Bild seines verstorbenen Angehörigen geschickt. Eine Aufnahme auf dem Totenbett.
Ich persönlich kannte den Verstorbenen nur entfernt. Zudem war mir das Bild auf meinem Handy zu intim. Ich habe es sofort gelöscht. Damit bin ich bei einem zentralen Punkt: Lassen wir dem Tod noch das Geheimnisvolle, das Mysterium oder stellen wir alles offen zur Schau?
Die Persönlichkeitsrechte eines Menschen gelten nach meiner Auffassung auch nach seinem Tod. Dies gilt es auch in einer Mediengesellschaft zu respektieren.
Falls Sie das Thema vertiefen möchten. Für den Deutschen Knigge Rat habe ich vor kurzem einen Beitrag über Trauerkultur geschrieben. Eine Analyse der letzten 75 Jahre: Der Abschied nimmt neue Formen an.