Das Ansehen von Journalisten hat gelitten, seit Populisten unangenehme Berichte als „Fake News“ denunzieren. Iris Völlnagel steht seit 25 Jahren für die ARD an der vordersten Medienfront. Sie berichtet für die Tageschau und andere ARD-Nachrichtensendungen über das aktuelle Geschehen. Gemeinsam blicken wir hinter die Kulissen des Nachrichtenbusiness.

Eilmeldung aus dem Ahrtal

Die Nachrichten überschlagen sich am 24. Juli 2021: Die Tagesschau bringt immer wieder Eilmeldungen aus dem Ahrtal. In dem zerstörten Schuld steht Iris Völlnagel mit einem Kamerateam und berichtet über die Lage.

Sieben Mal hat sie an diesem Tag eine „Live-Schalte“, soll möglichst aktuell die Situation vor Ort beschreiben: „Ich stelle mir vor, wer meine Zuschauer sind. Überlege mir: Die Person schaut jetzt zu. Für sie erkläre ich jetzt die Situation. Ich mache meinen Job für sie.“

Ich kenne Iris Völlnagel bereits seit 35 Jahren und will wissen, wie sie mit ihrer Nervosität umgeht, wenn Millionen von Zuschauern ihre Live-Berichte verfolgen? „Ich akzeptiere, dass die Nervosität einfach da ist. Vieles kann man vorab trainieren. Mir ist wichtig, frei zu reden. Deshalb schreibe ich keinen fertigen Text, sondern notiere mir nur drei Stichpunkte, die ich in der Sendung aufgreifen will.“

Ein wichtiges Fundament unserer Demokratie

Iris Völlnagel kommt aus Öhringen in Baden-Württemberg. Seit 2010 arbeitet sie für die Nachrichtensendungen der ARD: In den letzten Jahren hat sie aus Leipzig, Hamburg und Mainz berichtet. Daneben arbeitet sie auch für die Landesprogramme: Zuletzt für den RBB in Berlin und aktuell für den SWR in Heilbronn.

„Medien sind nach meiner Ansicht Dienstleister. Als Medienschaffende müssen wir überlegen: Wer sind die Menschen, für die wir unsere Sendungen machen?“

Als freie Mitarbeiterin ist sie permanent auf der Suche nach aktuellen Themen, die sie den Redaktionen anbietet. Dieses Netzwerk von freien Journalisten ist nach meiner Beobachtung ein wichtiges Fundament unserer Demokratie, weil sie vor Ort meist gut vernetzt sind und eine Antenne für gesellschaftliche Trends habe.

In Sachsen hat Iris Völlnagel viel über Linksextremisten und Rechtsextremisten berichtet: „Sonst besteht die Gefahr, dass wir in einer Bubble stecken bleiben. Wir brauchen den Mut auch unangenehme Meinungen zuzulassen.“

Wir diskutieren über die Wahlen in Thüringen und Sachsen: „Journalisten machen gerne einen großen Bogen um die AFD, weil das anstrengend ist. Aber ich mache dann einen guten Job, wenn ich dem Unangenehmen nicht aus dem Weg gehe.“

Ich muss mich ehrlich machen

Ich frage Iris, wie sie mit dem Vorwurf umgeht, dass man den Medien nicht mehr trauen könne? „Ich muss mich ehrlich machen“, ist ihre klare Antwort: „Ich kann immer nur für mich selbst und meine eigene Arbeit die Verantwortung übernehmen. Ich versuche meinen Job so gut wie möglich machen.“

Wir sprechen über die vielen Ebenen, auf auch im Aktuellen jede Nachricht auf ihren Wahrheitsgehalt geprüft wird. Es ist ein austariertes System von unabhängigen Journalisten, die auf mehreren Hierarchie-Ebenen die Arbeit der Kollegen überprüfen, bevor sie auf Sendung geht.

„Diese Selbstkontrolle hilft, die Spreu vom Weizen trennen.“ Gleichzeit gibt es große Informationsflut in der ARD und ZDF Mediatheken. „Hier ist sehr wichtig, die Infos zu filtern und zu sortieren: Was ist wesentlich und wirklich relevant?“

Iris Völlnagel
Iris Völlnagel

Welche Nachrichten sind verlässlich?

Mich interessiert, wie Iris Völlnagel in dieser Flut von Informationen sich selbst informiert: „Ich bin ein großer Fan des öffentlich-rechtlichen Fernsehens, weil ich als Insider die Berichterstattung für verlässlich halte. Es braucht berufserfahrene Kollegen, um Themen einzuordnen: Warum hat das Thema Relevanz für den Zuschauer?“

Ich frage die Fernsehjournalistin, wie Laien erkennen, ob eine Meldung verlässlich ist? „Da hilft der normale Menschenverstand: Kommt einem die Meldung kurios oder unglaubwürdig vor – dann sollte man weitere Quellen checken.“

Gemeinsam überlegen wir, wie Schüler den Umgang mit der Informationsflut lernen können. Auch mit dem Thema: Wie gehe ich mit Fake News in den sozialen Medien um?

Iris Völlnagel berichtet von Journalisten, die in Schulen gehen und die Schüler fragen, wie sie ticken. „Manche lassen sich auch von Meldungen blenden. Hier ist eine kritische Medienkompetenz gefragt.“

Langjährige Erfahrung, um Aktuelles einzuordnen

Auch im Journalismus wird sehr viel über Künstliche Intelligenz gesprochen: „Ich bin überzeugt, die KI wird auch in unserem Beruf eine große Rolle spielen. Sie ist jetzt schon eine Hilfe bei Recherchen. Künftig werden wir auch Texte mit KI schreiben.“

Gleichzeitig braucht es erfahrene Reporter, die aktuelle Entwicklungen in größeren Zusammenhängen einordnen können: „Das Thema Krankenhausschließung ist schon seit 10 Jahren auf der Agenda“, erzählt Iris Völlnagel. „Das zu wissen, hilft mir nüchtern über manche Hysterie hinwegzusehen und es sachlich einzuordnen.“

Ich will wissen, was nach 25 Jahren ihre größte Herausforderung im Beruf darstellt? Iris denkt kurz nach: „Es gibt für mich jeden Tag ein anderes Thema. Sich immer neu darauf einzulassen ist eine große Herausforderung.“

Wer hat die Meldung zuerst?

In Leipzig hat sie in vielen Beiträgen über das Unrecht in der DDR berichtet. Die journalistische Aufarbeitung ist ein wichtiger Pfeiler der Demokratie. Auch die wissenschaftliche Entwicklungen im Osten zählt zu ihrem Themen-Portfolio.

Gerade im aktuellen Nachrichtengeschäft kommt es darauf an, wer die Meldung zuerst bringt. „Ich erinnere mich sehr gut an die Beiträge über Christiane Heinecke. Als Wissenschaftlerin hat sie ein Jahr auf Hawaii in Mars-ähnlichen Zuständen trainiert. Ich bin stolz, dass wir diese Geschichte vor der BILD-Zeitung gebracht haben.“

Allerdings war es sehr schwierig, entsprechendes Filmmaterial zu bekommen, um die Beiträge auch zu illustrieren. „Das war eine sehr große Herausforderung von der NASA Material zu bekommen, weil es von einer Firewall geschützt ist. Doch das war nicht alles, wir mussten es auch durch die Firewall der ARD importieren. Ein echter Challenge.“

Zu den Highlights ihrer TV-Karriere zählt auch die Wahl von Barack Obama: „Für Phoenix habe ich nächtelang die Parteitage verfolgt und darüber berichten. Ich werde nie vergessen: Morgens kurz vor 5 Uhr kam das Wahlergebnis. Ich saß in der Regie vor den Sendern dieser Welt. Alle hatten dasselbe Bild in ihren Sendungen. In diesem Momenten merkt man, wie vernetzt die Sender bei diesen weltumspannenden Ereignissen zusammenarbeiten.

Die Macht der Medien

Zum Schluss unseres Gesprächs blicken wir zurück in den August 2015. „Für die ARD war ich in Haidenau und habe dort über die Demonstration gegen Flüchtlinge berichtet. Da hatte ich als Reporterin zum ersten Mal auch Tränengas in den Augen und musste meinen Film drehen. Das war kurz vor Merkels: Wir schaffen das.“

Iris Völlnagel hält einen kurzen Moment inne: „In dieser Situation ist mir erneut bewusst, welche Macht die Medien haben, wenn sie Stellung beziehen.“ Bis heute agiert sie als Berichterstatterin in diesem Spagat. „So wie an dem Tag als ich zuerst Angela Merkel vor der Kamera hatte und dann einen Sozialhilfe-Empfänger, der seine Stromrechnung nicht zahlen konnte.“

Über unterschiedliche Welten fair und sachlich zu berichten, das bleibt nach wie vor ihre tägliche Herausforderung.