Der 60jährige Michael Bommer ist an Krebs erkrankt. Nach Aussage der Ärzte bleiben ihm nur noch wenige Wochen. Er nutzt die kurze Zeit, um eine künstlichen Intelligenz zu trainieren. Sie soll nach seinem Tod die Hinterbliebenen trösten.

Künstliche Intelligenz
Michael Bommer mit seiner Frau Anett – Screenshot NBC News

KI ermöglicht ein digitales Vermächtnis

Das Schicksal von Michael Bommer hat mich besonders berührt. Das liegt sicher daran, dass ich meine Mutter und auch meine erste Frau an Krebs verloren habe. Besonders gespannt war ich deshalb auf einen Bericht in der letzten Ausgabe der ZEIT über die Erfahrungen von Michael Bommer mit künstlicher Intelligenz.

Sein Freund und früherer Geschäftspartner Rob LoCascio hat mit LivePerson einen Dienst mit künstlicher Intelligenz entwickelt. Um die Telefon-Hotlines von großen Firmen zu entlasten, können die Kunden auch mit einem intelligenten Chatbot ihre Fragen beantworten lassen.

Mit einer ähnlichen Technik arbeitet auch Eternos.Life. Michael Bommer hat als erste Kunde weltweit mit künstlicher Intelligenz sein eigenes Vermächtnis geschaffen. Über Stunden hat er Fragen beantwortet und seine Stimme aufgenommen. Nach seinem Tod kann die Familie die KI um Rat bitten oder sich Episoden aus seinem Leben vortragen lassen.

Was bleibt von uns?

Für mich illustriert die Geschichte von Michael Bommer die Sehnsucht vieler Menschen, nach ihrem Tod ein Vermächtnis zu hinterlassen. Die Generation meines Vaters war stolz, den Kindern ein Haus zu übergeben, das er mit großen Entbehrungen nach in den Nachkriegsjahren gebaut hatte.

Etliche Menschen, die ich kenne, wünschen sich ihre Lebensgeschichte in einem Buch aufzuschreiben. Andere erstellen einen Stammbaum mit den Vorfahren, um ihren Kindern und Enkeln die Herkunft zu zeigen. Nach meiner Beobachtung sind dies alles Versuche, dem eigenen Leben einen Sinn zu geben. Weisheit und Lebenserfahrung mit der nächsten Generation zu teilen.

Das Beispiel von Michael Bommer öffnet für mich auch ein großes ethisches Thema: Möchte ich, dass mein Leben in Form einer künstlichen Intelligenz nach meinem Tod auch andere Menschen tröstet?

Gespräche mit Verstorbenen auf dem Friedhof

Lassen Sie mich an dieser Stelle ein persönliches Beispiel erzählen: Als meine erste Frau mit 37 Jahren starb, war der Friedhof für mich ein wichtiger Anlaufpunkt. An ihrem Grab habe ich in den ersten Wochen Trost und Halt gesucht. Dazu gehörte für mich auch der Dialog.

Ich weiß, dass dies verrückt klingt: Ich habe am Grab manchmal laut, machmal leise mit meiner toten Frau gesprochen. Sicherlich bin ich damit nicht allein, auch in meinem Freundeskreis berichten etliche von ähnlichen Dialogen. Ich bin mir sicher, dies gehört zur Trauerarbeit einfach dazu.

Doch nach einiger Zeit wurde das Bedürfnis immer weniger: Sowohl die Besuche auf dem Friedhof, als auch die Dialoge. Der Schmerz nahm ab und mein eigenes Leben und das Gespräch mit Freunden löste die Trauer ab.

Will ich mit einem Chatbot trauern?

Dank der neuen Technik von Eternos.Life kann die Familie von Michael Bommer künftig mit einem Chatbot trauern. Wenn ich mich einfühle und mir auch die Beispiele auf der Webseite anhöre, spüre ich ambivalente Gefühle.

Auf der einen Seite stelle ich mir vor, nicht mehr alleine auf dem Friedhof zu stehen. Ich kann eine künstliche Stimme hören, die wie der Verstorbene klingt. Auf der anderen Seite gruselt es mich bei dem Gedanken, dass eine künstliche Intelligenz meinen geliebten Partner imitiert.

Ich glaube nicht, dass es den Algorithmen gelingen wird, mich zu trösten. Technisch weiß ich: Das ist nicht die Stimme des Toten, nur eine clevere Technik. Sie kann Gedanken und Gespräche simulieren. Aber es ist und bleibt eine künstliche Intelligenz. Was macht dies mit meiner Identität?

Gerate ich als Trauernder in eine innere Abhängigkeit, die mir psychisch gar nicht gut tut? Verhindert es den natürlichen Trauerprozess, den Elisabeth Kübler-Ross in ihren Arbeiten meisterhaft herausgearbeitet hat?

Eine unvorhersehbare psychologische Komponente

Der Reporter der ZEIT stellt am Ende des Interviews eine ähnliche Frage. Bommer antwortet: “Das ist das einzig Negative, das ich sehe: eine unvorhersehbare psychologische Komponente.”

Ich bin mir sicher, dass in den kommen Wochen viele Menschen einen Test mit Eternos.Life und anderen KI-Angeboten machen werden. Vermutlich werden wir erst in zwei oder fünf Jahren, welche psychischen Langzeitfolgen die neuen Angebote haben.

Gleichzeit habe ich keinen Zweifel, dass die künstliche Intelligenz breiten Einzug in unseren Alltag, in unser privates und berufliches Leben nehmen wird.

In den folgenden Wochen werde ich das Thema KI in weiteren Beiträgen beleuchten. Nächsten Donnerstag stelle ich die Professorin Dr. Birte Platow vor: Sie leitet das Kompetenzzentrum KI an der Technischen Universität Dresden.