An einem trüben Herbsttage sitze ich morgens um 6 Uhr am Küchentisch und lese “Die Zeit”. Ob im Politik-, Wirtschafts- oder Kulturteil: Immer wieder stelle ich mir die Frage nach der Hoffnung. Wo sind die Mütter und Väter, die der jüngeren Generation Hoffnung vermitteln?

Lina – Fotos: Rainer Wälde

Wettrüsten am Himmel

Ich lese von Anton, einem 16jährigen Russen, der in einer großen Drohnenfabrik arbeitet. Direkt nach der 9. Klasse werden junge Mitarbeiter angeworben, um Kampfdrohnen zu bauen. Laut Putin hat die Armee 2024 bereits 1,5 Mio. Kampfdrohnen erhalten.

Anton verdient nach Zeit-Recherchen als Berufsanfänger 660 Euro im Monat, während der Durchschnittslohn bei 400 Euro liegt. Er baut Kriegsgerät. Aber was gibt ihm Hoffnung?

Ich lese von Anna, der künstlichen Intelligenz, die in Niedersachsen einer jungen Bürokauffrau die Arbeit erleichtert oder besser gesagt: Den Job wegnimmt. “Laut Bundesagentur für Arbeit schätzt man, dass 75 Prozent der Aufgaben einer Bürokauffrau automatisierter werden können.”

Mich bewegt die Geschichte von Noah, der als junger Informatiker in Kenia der KI zuarbeitet, damit Autos in Deutschland sicherer fahren können. Doch er gehört zu einem Heer von Datenproletariern, die bis zu 15 Stunden am Tag arbeiten und mit Minilöhnen abgespeist werden.

Während die Konzerne Milliarden verdienen, berichtet Noah, dass er mit zwei bis drei Dollar pro Tag honoriert wurde. Woher nimmt er seine Hoffnung?

Hoffnung in der VUKA Welt

Ich telefoniere mit Lina, die in Marburg Psychologie studiert. Wir haben schon einige Fotoshootings miteinander gemacht und sprechen über den Wandel in der VUKA Welt. Das Akronym steht für vier gesellschaftliche Dimensionen:

Volatilität beschreibt die Geschwindigkeit und das Ausmaß von Veränderungen, die oft unvorhersehbar sind.

Unsicherheit: Es bezieht sich auf die erschwerte Vorhersagbarkeit zukünftiger Ereignisse, was Planungen riskant macht.

Komplexität: Beschreibt die vielen Einflussfaktoren und deren unübersichtliche, starke Vernetzung und Wechselwirkungen.

Ambiguität: Meint die Mehrdeutigkeit von Informationen und Sachverhalten, wodurch eindeutige Lösungen oder Interpretationen kaum noch möglich sind.

Raus aus der Angstspirale

Lina frage ich, wie sich über das Weltgeschehen informiert: “Ich finde, dass Nachrichten oft negativ belastet sind. Deshalb gucke ich keine Nachrichten mehr und habe mich radikal abgeschottet. Trotzdem bekomme ich mit, was in der Welt passiert.”

Sie erzählt, dass es ihr hilft, das Weltgeschehen durch den Filter ihrer Freunde wahr zu nehmen: “Mir reicht die Erzählung, ich muss mir selbst nicht die schrecklichen Bilder ansehen. Das hilft mir, positiv zu bleiben.”

Lina berichtet, wie ihr die mediale Abstinenz hilft, nicht in eine destruktive Angstspirale zu kommen: “Das macht passiv, ich will stattdessen Dinge wertschätzen, die gut funktioniert.”

Trotz reguliertem Medienkonsum ist Lina politisch: “Wenn über Social Media eine Petition gestartet wird, und mich überzeugt, mache ich gerne mit und spüre auch die Gemeinsschaft mit den anderen, die etwas bewegen wollen. So habe ich bei einer Petition mitgemacht, die den Bundestag erreicht hat.”

Hoffnung, wenn ich mitgestalten kann

Wir beide diskutieren über die Frage: Woher kommt der Drang, alles wissen zu wollen, was auf der Erde passiert? Lina sagt ganz offen: “Die Chancen, dass ich alles verändern kann, liegen bei Null. Deshalb gebe mir nicht den ganzen Medien-Block, sondern suche mir Projekte für die ich mich aktiv einsetze, da kann ich mitwirken.”

Lina erzählt von einem Freund: “Er hat mir ein Video über KI geschickt, das hatte ihm Angst gemacht. Darüber haben wir gesprochen, aber dann auch einen Haken dran gemacht. Wenn Panik aufkommt, entscheide ich mich zu etwas Positiven zu wechseln.”

Lina erzählt mir vom letzten Vortrag ihres Schulleiters nach dem Abitur: “Oh Gott, es wird alles den Bach runtergehen. Hoffentlich bringt ihr es weiter, um den Karren aus dem Dreck zu ziehen. Diese Rede war so demotivierend. Wir haben nichts davon, wenn alles schwierig”

Was kann die Generation Babyboomer tun?

Sie betont, wie wichtig es für sie ist, auch als Studentin positiv ihr Leben zu gestalten. “Ich glaube, die Muster wie man mit schwierigen Dingen umgeht, lerne ich zuhause bei meiner Familie. Nicht die Panik verstärken, ein gutes Vorbild sein, sich engagieren. Das haben meine Eltern vorgelebt. Mein Papa hat mit 65 ein Lastenfahrrad gekauft. Wir kaufen keine Fast Fashion, sondern Secondhand.”

Doch Lina ist es auch wichtig, “sich von der Meinung der älteren Generation ein Stück weit zu lösen. Ich frage kritisch: Welche Ansichten vertreten sie? Will ich die Ansicht übernehmen oder mir dort Support holen. Wenn jemand etwas älter ist, heißt das nicht, dass er weiser ist.”

Zum Schluss erzählt sie mir von ihrer Schwester, die 14 Jahre älter ist: “Ich halte meine Schwester für eine sehr weise Person, sie hat durch Alltagssituationen sehr viel für ihr Leben dazu gelernt. Ich habe großen Respekt vor ihrem Learning, was sie aus Krisen gelernt. Sie kann andere dadurch sehr gut ermutigen.”