In meinem Umfeld gibt es zwei Gruppen: Freunde, die sehr gerne Gäste einladen und andere, die zuhause lieber keine Gäste wollen. Woran liegt es, dass wir als Gastgeber so unterschiedlich ticken? Wie schaffen wir es, im Alltag unseren Gastgeber-IQ zu erhöhen?
Persönlichkeit und Gastfreundschaft
Freitagabend in Wetzlar: Meine langjährige Freundin Martina lädt zu ihrem Geburtstag ein. Ich freue mich schon seit Tagen auf diesen Abend und bin neugierig, welche Gäste kommen werden und wie sie ihre Feier geplant hat. Wir beide kennen uns seit 38 Jahren und haben uns oft gegenseitig eingeladen. Aus meiner Sicht hat sie einen hohen Gastgeber-IQ.
Das Modell wurde von dem Psychologen Benjamin Meagher entwickelt. Mit seinem Team hat der den Zusammenhang zwischen Persönlichkeit und Gastfreundschaft erforscht. Der Gastgeber-IQ (Hospitality Score) gibt an, ob jeder Gast willkommen ist.
Personen mit hohen Werten fühlen sich für das Wohlbefinden der Gäste verantwortlich und empfinden auch ihr Verhalten nicht als Zumutung. Die höchste Übereinstimmung wurde bei den Big-Five-Persönlichkeitsmerkmalen bei Menschen mit Verträglichkeit und Extraversion beobachtet.
Großes Bedürfnis nach Privatsphäre
In nachhaltiger Erinnerung ist mir eine direkte Nachbarin in Limburg geblieben. In all den Jahren, in denen wir Tür an Tür gelebt haben, hat sie mit ihrem Mann nie Gäste empfangen. In allen Gesprächen war sie freundlich, aber distanziert.
Der Begriff “My Home is my Castle” drückt für mich sehr stark aus, wie hoch in vielen von uns das Bedürfnis nach Privatsphäre ist. Die Professorin Shawn Burn spricht vom Konzept der Territorialität. Im Kern steht unser Zuhause als wichtigster Rückzugsort. Diesen Raum wollen wir schützen und kontrollieren.
Das zweite Territorium sind Schule, Uni und Büro. Auch hier haben wir das Bedürfnis sicher und geschützt zu sein. Während als dritter Raum öffentliche Restaurants, Verkehrsmittel und auch die Fußgängerzonen gelten. Auch hier wollen wir uns in der Freizeit sicher bewegen.
Doch je unsicherer wir uns im öffentlichen Raum fühlen, desto größer ist das “Bedürfnis nach Autonomie und Privatsphäre” so Burn.
Die wichtigste Gastgeber-Aufgabe
In meinen Knigge-Seminaren habe ich häufig von der wichtigsten Aufgabe eines Gastgebers berichtet. Es geht dabei nicht um Essen und Trinken und die kulinarische Versorgung der Gäste. Die wichtigste Aufgabe ist nach meiner Ansicht: Den Gästen Sicherheit zu vermitteln.
Gerade im privaten Bereich sind viele unsicher, weil sie sich auf fremden Terrain bewegen. Auch in einer ungewohnten Umgebung, wie einem Luxushotel, einem großen Empfang oder einem Schloss fühlen sich viele Menschen unwohl. Die neue französische Komödie mit Monsieur Claude “Oh La La – Wer ahnt denn sowas?” illustriert das sehr humorvoll.
Hier braucht es die besondere Aufmerksamkeit der Gastgeber, damit sich die Gäste wirklich wohl fühlen und das Essen und auch die Gespräche genießen können.
Das Dilemma vieler Gastgeber
Mit großem Interesse habe ich eine Gallup-Umfrage aus dem letzten Jahr gelesen. 50 Prozent der Befragten gaben an, dass sie gerne Gäste empfangen. Doch 75 Prozent empfanden dies gleichzeitig als stressig.
Ein großer Stressor ist für viele das Aufräumen der Wohnung, bevor die Gäste kommen. Andere haben Angst, das etwas beschädigt wird. Dieses Dilemma vieler Gastgeber: “Eigentlich liebe ich Gäste – ABER….” sorgt auch in meinem Freundeskreis dafür, dass manche nicht mehr in die eigene Wohnung, sondern in den Biergarten oder ein Restaurant eingeladen.
“Das ist einfacher, da muss ich nichts wegräumen”. Je introvertierter der Verhaltensstil ist, desto stressiger werden die Gäste empfunden. Ich kenne in meiner meiner Umgebung etliche Paare, die ganz auf Einladungen verzichten und selbst ihre Jubiläen ohne Gäste ganz alleine feiern.
Warum laden manche Menschen gar nicht mehr ein?
Ich persönliche finde es sehr schade, dass sich manche Gastgeber ganz zurückziehen. Nach meiner Beobachtung berauben Sie sich damit selbst um kostbare Höhepunkte ihrer eigenen Biografie.
Sicher: Gastgeber zu sein und ein Fest zu planen, kostet Zeit, Geld und Mühe. Doch wenn die Feier gelingt, bleibt sie für viele Jahre emotional im Gedächtnis. So wie bei meiner Freundin Martina und ihrem Mann, mit denen mich über Jahre viele gemeinsame Einladungen verbinden. Kleine Treffen im Garten und große Feste.
Wie bereichernd dies sein kann, hat auch mein langjähriger Freund Jürgen erkannt. Wir kennen uns seit 26 Jahren. Gerne war er zu Gast auf meinen Geburtstagsfeiern. Doch er selbst hat sein Wiegenfest nie gefeiert. Bis er 60 wurde und etliche Todesfälle erlebt hatte. Plötzlich wurde ihm die Lücke bewusst und er fing fröhlich an sein Leben zu feiern.
Eine Quelle des Glücks
In der Oktober-Ausgabe von “Psychologie Heute” berichtet die Autorin Annika Brohm von einer Reise nach Saudi-Arabien. Sie begegnet dort einer Gastfreundschaft, die “nicht nur als eine religiöse und soziale Norm” gelebt wird, sondern als eine “Quelle des Glücks.”
Was mich besonders berührt hat, ist der Satz eines Saudis: “Dein Gast könnte mit so vielen Menschen auf der Welt Zeit verbringen, aber er hat sich für dich entschieden. Das ist eine große Ehre.”
Mich inspiriert dieser Satz weiterhin an meinem eigenen Gastgeber-IQ zu arbeiten. Mich aus der Komfortzone heraus zu begeben und auch künftig aktiv Gäste einzuladen.