Das gibt es doch nicht. Ich will gerade von einer langjährigen Kollegin beim Fernsehen erzählen und mir fällt einfach der Name nicht ein. Ich weiß, in welcher Stadt sie lebt, wo sie aufgewachsen ist. Doch so sehr ich mich anstrenge, der Name kommt nicht. Mein biografisches Gedächtnis streikt. Ich will wissen, warum das so ist und wir manches vergessen?

Biografisches Gedächtnis
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Wir sind Gedächtnis

Der Neurobiologe Martin Korte hat dazu ein passendes Buch geschrieben: “Wir sind Gedächtnis. Wie unsere Erinnerungen bestimmen, wer wir sind“. In einem Interview mit der Wochenzeitschrift ZEIT berichtet er: “Wenn wir sagen, Ich habe ein schlechtes Gedächtnis, dann meinen wir eigentlich nur, dass eine bestimmte Information in einem bestimmten Moment nicht verfügbar ist.”

Das beruhigt mich erst einmal. Doch nach zwei Tagen fällt mir der Name meiner Fernsehkollegin immer noch nicht ein. Ich ärgere mich über mich: Das gibt es doch nicht. Ich mag die Kollegin, schätze sie sehr – also Verdrängung kann es nicht sein. Warum fällt mir der Name partout nicht ein?

Martin Korte erklärt das Phänomen ziemlich pragmatisch: “Vergessen ist ein Aufräumprozess. Unser Gehirn entscheidet, was gerade gebraucht wird und schafft den Rest dahin, wo er nicht stört.” Der Neurobiologe empfiehlt aufmerksamer zu sein: “Vieles vergessen wir, weil wir es uns nie richtig gemerkt haben.”

Biografisches Gedächtnis: Warum mehr Sport hilft

Was mich überrascht: Auch Sport kann helfen, um das Gedächtnis vital zu halten: “So wird der Hippocampus besser durchblutet und bildet mehr neue Nervenzellen.” Als ich diesen Satz lese, denke ich direkt an Marlen und Gert von Kunhardt, die seit Jahrzehnten für leichten Sport als Gesundheitsvorsorge eintreten. Sie würden Korte sicher sofort zustimmen.

Doch der Neurobiologe von der Uni Braunschweig hat noch einen ganz anderen Tipp parat. “Ich führe Tagebuch, seit meiner Jugend. Das Schreiben an sich ist wichtiger, am besten sogar mit der Hand.” Damit würden wir dem Gehirn die notwendige Ruhe geben, um die Erlebnisse zu sortieren.

Während ich mich mit den Forschungs-Ergebnissen beschäftige, denke ich mein Handy. In manchen Situation nutze ich es sehr gerne als Erinnerungshilfe. Gerade war ich zwei Wochen in der Toskana. Dort wird mein vierter Krimi spielen. An den unterscheidlichen Schauplätzen habe ich Fotos gemacht, die mich beim Schreiben an die Details erinnern.

Doch Martin Korte sieht das mehr als kritisch: “Indem wir ein Bild machen, treten wir aus dem Moment heraus. Wir vertrauen, dass ein externes Gedächtnis besser arbeitet, als unser eigenes. Nur arbeitet es eben gar nicht, es häuft bloss Milliarden Pixel an.”

Man kann nicht zwei Leben leben

Die These des Hirnforschers leuchtet mir ein. Bereits vor Jahren habe ich bei Filmaufnahmen in Peru bemerkt, dass ich nur eines kann: Entweder mit meiner Kamera eine Szene aufnehmen oder mit allen Sinnen präsent zu sein und diesen Augenblick achtsam wahrnehmen.

Für Martin Korte ist die Handyfotografie es eine Art Nullsummenspiel: “Je mehr Vergangenes wir für die Zukunft bewahren wollen, um so weniger bleibt von der Gegenwart.” Ich denke direkt an einige Zeitgenossen, die im Restaurant zuerst das Essen fotografieren, bevor sie zum Besteck greifen. Nehmen Sie auch sinnlich wahr, was sie gerade essen?

Doch die spannende Frage, die ich mir stelle: Wie bewahre ich besondere Momente, die erlebe, für mich auf? In der ZEIT finde ich einen Hinweis auf Julia Shaw – sie ist Autorin von “Das trügerische Gedächtnis.” Sie empfiehlt wichtige Erlebnisse mit Sinneseindrücken zu verbinden: “Sie müssen die Situation aufladen, damit Ihr Gehirn sie stärker vernetzen kann.”

Shaw erzählt von ihren Flitterwochen: “Da habe ich immer eine bestimmte Duftkerze angemacht. Wenn ich die jetzt rieche, denke ich an diesen schönen Urlaub zurück.” Hinzu kommt eine zweite Erkenntnis: “Je mehr man in einem Moment empfindet, umso stärker prägt er sich ein.”

Das Gehirn mit etwas Unerwartetem konfrontieren

Zum Schluss möchte ich noch von einer Übung erzählen, die meine Frau und ich mit Seminarteilnehmern in unserem “Goldzirkel” machen: Wir zeichnen eine Landkarte der eigenen Biografie. Darin geht es um die Erinnerung an Menschen und Orte, aber auch um unser Biografisches Gedächtnis. Wo spüre ich in der Erinnerung Schmerz und Trauer, wo Freunde und Glück?

Diese Übung hilft, um die eigenen Erinnerungen zu sortieren und gleichzeitig auch, um Platz zu machen im eigenen Kopf für etwas Neues. Der “Goldzirkel” soll den Teilnehmern helfen eine klare Zukunftsperspektive zu entwickeln. Dazu konfrontieren wir sie immer wieder mit etwas Unerwartetem. Jede Musterunterbrechung hilf dem Gehirn, neue Spuren zu legen.

Während ich diese Zeilen schreibe, wird mir bewusst, wie wichtig es ist. auch Frieden mit dem eigenen Vergessen zu schließen. Mein Gehirn räumt wie bei einer Computerfestplatte immer wieder auf, schafft Platz für Neues. Völlig logisch, dass es etwas dauert, aus alten Datensicherungen wieder eine lange ungenutzte Datei aufzuspielen.

Ah so, fast hätte ich es vergessen, liebe Kollegin. Dein Name ist mir längst wieder eingefallen und im Arbeitsspeicher neu aktiviert. Ich freue mich schon auf unser nächstes Gespräch!