Viele Menschen haben sich in den letzten zwei Jahren so sehr an die heimische Couch gewöhnt, dass sie überlegen, welche Einladungen sie überhaupt noch brauchen. Plötzlich steht mancher vor dem Dilemma: Hingehen, obwohl eigentlich nicht will oder einfach absagen?

Absagen
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Mehr Zeit für mich

Kürzlich habe ich mit einer jungen Frau in unserem Dorf gesprochen und über ihre Erfahrungen der letzten Monate. Vor Corona war sie mehr als aktiv mit Freunden, Vereinen und auf Festivals. Sie tanzte das ganze Jahr über auf ziemlich vielen Hochzeiten. Doch während der Pandemie – so berichtet sie – wurde sie immer wählerischer.

Heute fragt sie sich ganz konkret: Brauche ich das wirklich oder sollte ich das künftig nicht lassen? Schließlich habe ich dann mehr Zeit für mich. Der amerikanische Comedian John Mulaney hat dieses Zeitgefühl aufgegriffen. In seinem Programm bedankt er sich beim Publikum, dass sie nicht abgesagt haben. “Pläne absagen” – so der Komiker – sei “wie Heroin. Ein Wahnsinnsgefühl. Sofortiges Glück.”

Zugegeben: Ich bin in den letzten Monaten auch wählerischer geworden. Muss ich zu einem einstündigen Gespräch wirklich durch die halbe Republik reisen? Geht das nicht auch online via Zoom? Die Pandemie hat mir den Wert meiner Lebenszeit neu vor Augen geführt. Brauche ich das wirklich noch?

Mehr Zeit für tiefe Begegnungen

Gleichzeitig spüre ich, wie stark meine Sehnsucht nach tiefen Begegnungen vor Ort gewachsen ist. Mit Freunden auf der Terrasse sitzen, gemeinsam philosophieren, das Herz teilen – ohne eine Glasscheibe zwischen uns. Persönlich statt online. Das sind für mich die Gold Nuggets, die emotionalen Höhepunkte – dafür setzte ich mich gerne ins Auto und komme danach wieder glücklich zurück.

Doch mein Appetit auf Smalltalk ist während der Pandemie drastisch gesunken. Auf oberflächliche Dialoge hatte ich schon vor Corona wenig Lust: Ich war immer schon ein Freund des “Deep Talks” – selbst mit entfernten Bekannten. Mein Credo: Lieber wenige Treffen mit Tiefgang statt vielen oberflächlichen Begegnungen. Damit komme ich zu einem kritischen Punkt, der vielen Menschen schwer fällt. Wie sage ich ab, ohne mein Gegenüber zu verletzten?

Von Harold Pinter, dem bekannten Theaterregisseur gibt es eine schöne Anekdote. Er wurde von einem Kollegen eingeladen, wollte jedoch nicht hin. Also schrieb Pinter ihm einem kurzen Brief: “Lieber Tom, vielen Dank für die Einladung zu einem Dinner in den Räumen eines der besten Londoner Restaurants. Ich würde lieber sterben. Alles Gute, Harold.”

Die wahre Kunst des Absagen

Zugegeben: Eine Absage à la Pinter kann ziemlich verletzend sein. Deshalb fragen viele Menschen: Soll ich bei der Wahrheit bleiben oder besser eine Ausrede erfinden? Mein persönlicher Tipp: Bleiben Sie bei den Fakten. Vermeiden Sie Halbwahrheiten. Sagen Sie kurz und knapp, warum Sie den Termin nicht wahrnehmen.

Sicherlich ist dies bei Freunden und Bekannten schwierig, weil es passieren kann, dass Sie damit den Gastgeber kränken. Dennoch empfehle ich Ihnen kurz und knapp die Absage mit einem wertschätzenden Dank für die Einladung zu verbinden. Das ist deutlich besser, als wenn sie gar nicht antworten.

Ich persönlich finde es deutlich unangenehmer, wenn der Gastgeber anruft und nachfragen muss, weil sich die Gäste überhaupt nicht zurück gemeldet haben. Lieber ein freundliches “Danke, aber Nein” statt einem diffusen Schweigen im Walde.

Vorsichtig mit Zusagen umgehen

Zum Schluß noch ein ganz praktischer Tipp: Überlegen Sie sich bei jeder Einladung reiflich, ob Sie wirklich hinfahren wollen. Wenn Sie zusagen, sollten Sie das auch wirklich wollen und dies ernst nehmen. Etliche Menschen leben multioptional, sagen erst mal zu. Warten ab, ob noch was besseres kommt und sagen dann kurzfristig wieder ab oder erscheinen gar nicht.

Für den Gastgeber, der sich viel Mühe mit der Vorbereitung macht und eventuell auch einen Caterer für das Essen engagiert hat, ist eine frühzeitige Absage deutlich besser, als ein wages “vielleicht” oder eine kurzfristige Absage.

Besonders kurios fand ich folgende Absage eines Gastes, die ich bei meinem runden Geburtstag bekommen habe: “Sorry, die Benzinpreise sind gestiegen. Deshalb habe ich mich trotz Zusage entschieden, nicht zu kommen.” Meine Antwort: “Ich schicke dir 10 Euro – das ist günstiger, als dem Caterer abzusagen.” Das war ehrlich auf beiden Seiten – doch der Gast kam trotzdem nicht.