Von Badewannenvorlegern und Steuerknüppeln

Unsere heutigen Statussymbole sind subtil. Ich erinnere mich an ein Erlebnis, das mir fast schon buchstäblich den Boden unter den Füßen wegzog. Ich hatte einen Termin beim Geschäftsführer eines großen mittelständischen Unternehmens, Weltmarktführer in seiner Branche, mit zweitausend Mitarbeitern.

Dieses Unternehmen hatte sich in der Nähe der Autobahn eine neue Zentrale geleistet, und das Büro des Geschäftsführers war – natürlich – im oberen Stockwerk. Durch ein Treppenhaus ganz in edlem Granit führte die Treppe nach oben. Aus dem Treppenhaus trat man dann in ein circa hundert Quadratmeter großes Vorzimmer, das mit einem extrem hochflorigen blaugrauen Teppich ausgelegt war.

Stellen Sie sich so einen richtig flauschigen Badewannenvorleger vor: So ungefähr sah dieser Teppich aus. Nie in meinem Leben werde ich vergessen, wie es sich anfühlte, dieses Zimmer zu durchqueren. Nach dem harten Granitboden des Treppenhauses nun das hier. Meine Schuhe versanken in einem Ozean von Teppich. Ich verlor jeglichen Halt, den Bodenkontakt, die Trittfestigkeit.

Alle Energie und Dynamik – ausgebremst vom Hochflor! Ich wurde innerlich immer kleiner, immer weicher, und als ich endlich vor der Tür des Geschäftsführers angekommen war, wusste ich kaum noch, wie ich heiße. Eine solche Macht übte dieses Statussymbol in Teppichform aus.

Foto: Shutterstock

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Was sind die Statussymbole der Neuzeit?

Doch das ist noch lange nicht der Gipfel der Raffinesse. Die Statussymbole, gerade in der Business-Welt, sind heute immer öfter rein immaterieller Natur. Nehmen wir zum Beispiel den langjährigen Easy-Jet-Chef Stelios Haji-Ioannou. Er sitzt in einem Großraumbüro zusammen mit zig anderen Mitarbeitern. Weder ist sein Schreibtisch größer als die der anderen, noch hat er einen komfortableren Stuhl – geschweige denn einen Badewannenvorleger, um Besucher zu zermürben.

Er fährt auch morgens nicht mit einem vom Chauffeur gelenkten dicken Schlitten vor, sondern nimmt lieber die S-Bahn. Er hat es nicht nötig, seinen Status materiell zu demonstrieren.

Aber selbst wenn man den Chef nicht mehr am repräsentativen Büro erkennen kann – Status demonstrieren Chefs und Führungskräfte nach wie vor. Spätestens dann, wenn man auf die Antwort auf eine E-Mail zwei Wochen lang wartet, ahnt man: Dieser Mensch ist wohl sehr wichtig. Oder man selbst ist so unwichtig, dass man einer Antwort nicht würdig ist.

Das Statussymbol im Zeitalter der Kommunikation heißt: nicht kommunizieren. Das Handy ausschalten. Nicht erreichbar sein. E-Mails nur alle zwei Tage abrufen. Wer in der Hierarchie unten steht, reagiert sofort, und zwar auf allen Kanälen. Wer oben steht, sagt sich: Na ja, das hat jetzt aber wirklich Zeit. Sollen die ruhig mal warten. Auf die Frage, was das zurzeit größte immaterielle Statussymbol im Business ist, antworte ich deshalb: Der Zeitraum, den sich jemand leisten kann zu warten, bis er eine E-Mail beantwortet – ohne Ärger zu bekommen. Ab drei Wochen wird es interessant. Aber ist das Understatement?

Was kann sich gegen Status behaupten?

Lassen Sie mich das Thema Identität noch einmal aufgreifen. Für mich bedeutet Identität, dass jemand weiß, wer er ist, wo er herkommt und wo er hinwill. Wer das weiß, ist mit sich im Reinen und muss nicht mehr um seine Identität kämpfen. Wer aber nach seiner Identität sucht, sie nicht findet und sie deswegen aus dieser inneren Not heraus an seinem Status festmacht, dem bleibt fast nichts anderes übrig, als materielle und immaterielle Symbole dieses Status vor sich herzutragen. Täte er dies nicht, wäre das letzte bisschen – künstlicher, aufgepfropfter – Pseudoidentität auch noch dahin. Und des- wegen muss er auch so krampfhaft an diesen Symbolen festhalten.

Wer dagegen weiß, was seine Persönlichkeit ausmacht, was seine Talente sind, wo seine Stärken und Schwächen liegen, der kann mit diesen Talenten wuchern und sie auch bewusst einsetzen. Der kennt sich und lebt das ungekünstelt nach außen. Und die Außenseite einer starken, bewussten Identität ist Charisma – das, was andere Menschen viel mehr prägt, begeistert und beeindruckt als hochflorige Teppiche, Büros im 128. Stock oder fünf persönliche Assistentinnen. Charisma statt Status – auch das ist eine Formel des Understatements.

In eine andere Haut zu schlüpfen ist energieraubend

Nichts ist erfolgreicher und ansteckender, als einfach nur „echt“ zu sein. Und nichts ist entspannender! Haben Sie darüber schon einmal nachgedacht? Wie anstrengend und mühsam es ist, Freunden, Partnern, Mitarbeitern gegenüber immer seinen Status vorleben zu müssen? Lebensqualität ist definitiv etwas anderes, glauben Sie mir. Wenn ich meine wahre Größe lebe – egal, wie groß oder klein sie tatsächlich ist –, dann kann man mich morgens um drei auf- wecken und ich werde garantiert nicht aus einem Alptraum hochschrecken, in dem alle gerade herausgefunden haben, dass ich eigentlich nichts tauge.

Dann muss ich auch im wachen Zustand keine Angst haben, dass irgendetwas über mich ans Tageslicht kommt, von dem ich nicht will, dass es ein Mensch weiß. Eine Pseudoidentität aufrechtzuerhalten, eine Fassade zu wahren, je nach Umfeld in eine andere Haut zu schlüpfen ist vor allem nur eines, nämlich energieraubend. Und hier geht es um kostbare Lebensenergie, nicht nur um Strapazen für ein paar Nerven!