Wie gelingt es eine Freundschaft aufzubauen und auch über Jahre hinweg lebendig zu halten? Darum geht es in meinem neuen Buch „Gemeinsam durchs Leben”, das in dieser Woche erscheint.

Freundschaft
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Ein Blind Date mit Freunden

Das Jahr beginnt mit einem Experiment. Ich habe sechs Freunde zu einem Blind Date eingeladen. Sie kommen aus unterschiedlichen Berufen und Orten, außerdem gibt es bis zu 30 Jahre Altersunterschied. Etliche haben sich noch nie gesehen. Ich bin sehr gespannt: Wird dieses Wochenende funktionieren? Der einzige gemeinsame Nenner: Alle sechs sind meine Freunde.

Ich lese von einer wissenschaftlichen Untersuchung, Professor Mark Granovetter von der Stanford University betont: “Der Freund meines Freundes hat gute Chancen, auch mein Freund zu werden.” Ob dieses Experiment auch in meinem Freundeskreis klappen wird, weiß ich noch nicht. Bereits im Vorfeld spüre ich Unsicherheit. Ich telefoniere mit jedem Freund einzeln und stelle ihm meine Idee vor.

Es gibt kein Programm. Wir wollen einfach Zeit miteinander verbringen. Einander zuhören –- mit Körper, Herz und Seele dabei sein. Einander wahrnehmen, die Einzigartigkeit des anderen erkennen und einander segnen. Ich bin überrascht, dass sich fast alle auf diese Reise ins Unbekannte einlassen: Bis auf einen Freund, der bereits anderweitig verplant ist, sagen alle zu.

Wir treffen uns am letzten Wochenende im Januar. Bei Flammkuchen und Pizza lernen wir uns als Gruppe kennen. Nervosität und Unsicherheit sind schnell verflogen. Eine entspannte Atmosphäre des Vertrauens entsteht. Am Samstag hat jeder eine Stunde Zeit, um einen Impuls oder ein Thema aus seinem Leben zu teilen. Ein Freund demonstriert Partnermassage, ein anderer, wie man sein Leben digital besser organisiert. Es ist ein bunter Strauß an Ideen, der unsere unterschiedlichen Begabungen sichtbar macht.

Gemeinschaft und Verbindlichkeit

Still sitze ich da und spüre mein inneres Glück. In dieser Runde verknüpfen sich Freundschaft und Einzigartigkeit, Gemeinschaft und Verbindlichkeit. Gerade in einer fragilen Welt, in der alles andere in Bewegung gerät, stabilisiert Freundschaft einen wesentlichen Kern. Diese enge Form von gelebter Beziehung signalisiert: Du bist nicht allein, ich bin nicht allein. Wir stärken uns gegenseitig – auch in unserer Identität.

Dieses gemeinsame Erleben, das Feiern und das Übermütigsein gibt neue Kraft. Vor allem dann, wenn wir Annekdoten teilen und über uns selbst lachen können. Gleichzeitig öffnet der ehrliche Dialog auch neue Horizonte – über die eigene Begrenzung hinaus zu schauen. Er bietet jedem die Chance, neue Perspektiven und ungewohnte Blickwinkel zu entdecken.

“Alles wirkliche Leben ist Begegnung”, hat Martin Buber gesagt: “Wenn wir aufhören, uns zu begegnen, ist es, als hörten wir auf zu atmen.” Damit bin ich beim Kernanliegen meines Buches. Ich lade Sie ein, Freundschaft neu zu denken und neu zu entdecken. Gleichzeitig wünsche ich Ihnen, dass freundschaftliche Verletzungen der Vergangenheit heilen und Sie innerlich offen für neue Freundschaften werden.

Nach 64 Jahren voller Leben – mit dramatischen Krisen und erstaunlichen Wendepunkten – ist Freundschaft für mich immer noch ein geheimnisvolles Mysterium.

Freundschaft kann man nicht machen

Wenn zwei Menschen sich erkennen und ein “vibrierender Draht” zu glühen beginnt, entfaltet sich ein kostbares Geschenk.
Bei Svenja Flaßpöhler habe ich einen bemerkenswerten Satz gefunden. Sie ist Philosophin und Chefredakteurin des Philosophie Magazins: “Wahre Freundschaften zeichnen sich dadurch aus, dass sie nicht beendet werden können und auch nicht von selbst enden. Entstehen können sie nur in Lebensphasen verletzlicher, radikaler Offenheit.”

Als ich dieses Zitat zum ersten Mal gelesen habe, regte sich in mir deutlicher Widerspruch. Ich dachte an eigene Freundschaften, die durch Verrat, politische Verblendung oder schleichende Entfremdung beendet wurden. Doch dann spürte ich den Beziehungen nach und merkte, dass mir diese Freunde immer noch am Herzen liegen.

Ganz tief in mir spürte ich immer noch Zuneigung zu ihnen. Diese tiefe Liebe trotz aller Differenzen war nicht abgestorben, sie lebt verkapselt als Schmerz nach wie vor in mir. Wenn ich ehrlich bin, spüre ich die Verbindung, auch wenn wir uns nicht mehr begegnen. Dieses Band der Liebe, das Freundschaft so einzigartig macht, bleibt bestehen – trotz aller Differenzen.

Eine Resonanzbeziehung

So wie bei Belinda, deren Name ich geändert habe, um ihre Identität zu schützen. Wir haben uns vor 25 Jahren kennengelernt. Ich spürte sofort ein inneres Kribbeln. Es war kein erotisches Momentum, sondern eine “Resonanzbeziehung”. Dieser Begriff stammt von dem Soziologen Hartmut Rosa, den ich sehr schätze.

Gemeinsam mit ihrem Freund trafen wir uns regelmäßig und sprachen sehr schnell über ganz tiefe Lebensthemen. Auch über die Krankheit ihres Vaters und ihre Erfahrungen als Tochter in einer Unternehmerfamilie. Aus ihrer Liebe zum Studenten wurde eine Ehe gegründet, später eine Familie mit vier Kindern. Als enge Freunde trafen wir uns oft und konnten leidenschaftlich auch über gesellschaftliche und politische Themen diskutieren – bis Corona kam.

In meinem Blog schrieb ich 2020 einen kritischen Beitrag zu Verschwörungserzählungen. Kurz darauf kam eine kurze Mail von Belinda. Sie beendete in kurzen Sätzen unsere langjährige Beziehung. Mein Beitrag habe klar gemacht, dass unsere Ansichten zu weit auseinander liegen. Ich musste schlucken, war wie vor den Kopf gestoßen. Offensichtlich hatte mein öffentlicher Beitrag etwas in ihr verletzt, über das sie nicht mit mir sprechen wollte.

Wahre Freundschaft kann nicht beendet werden

Über drei Jahre habe ich mehrere Anläufe gemacht, um mit Belinda und ihrem Mann den Faden neu aufzunehmen. Ohne Erfolg. Auch meine Anrufe, wenn ich in der Nähe war und sie besuchen wollte, wurden mit Ausreden abgelehnt. Die Botschaft war klar: Kein weiterer Kontakt gewünscht. Dabei ist gerade der Dialog ein wichtiges Kennzeichnen unserer Freundschaft gewesen.

Zurück zur Philosophin Svenja Flaßpöhler und ihrer These, wahre Freundschaft könne nicht beendet werden. Wenn ich in mich hinein spüre, empfinde ich immer noch Liebe für Belinda und ihre Familie. Ich spüre Resonanz – auch wenn der Kontakt abgebrochen ist, ein liebevolles Kribbeln, wenn ich an sie und ihre Kinder denke. Manchmal spreche ich ein kurzes Gebet und segne sie. Ich hoffe, es kommt bei ihr an – auch wenn wir nicht mehr miteinander reden.

Ein Dankeschön an meine Wegbegleiter

Dies ist ein Auszug aus meinem sehr persönlichen Buch über Freundschaft. In neun Kapiteln ich nehme ich Sie mit in meinen Freundeskreis. Ich teile persönliche Erlebnisse und Experimente. Erzähle ganz offen, was gelungen ist und wo ich gescheitert bin.

Ich berichte auch von Grenzen in meinen Beziehungen und wie es gelingt, sich von toxischen Freundschaften zu verabschieden. Doch mein wichtigstes Thema: Wie können wir mit zunehmenden Alter neue Freundschaften schließen?

Wenn ich am Sonntag an meinem 64. Geburtstag auf die letzten Jahrzehnte zurückblicke, denke ich dankbar an viele Wegbegleiter. Sie haben mich mit ihrem Sein und ihren Worten geprägt. Dieses Buch ist mein Dankeschön an sie.