Wie sehr habe ich das vermisst: Die Nähe der Körper, die am Tisch sitzen, der Duft von Gewürzen, tiefe Gespräche am Lagerfeuer und das gemeinsame Lachen. Diese besondere Form der Intimität ist während der Pandemie verloren gegangen. Ich freue mich auf sehr auf eine Renaissance der Gastfreundschaft 2021.

Gastfreundschaft 2021
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Der erste Abend am Lagerfeuer

Das Glück dieses Sommers: Zum ersten Mal wieder mit Freunden aus unserem Dorf zusammen zu sitzen und zu grillen. Tiefe Gespräche bei Brot und Wein, die Feuchte des Grases, über uns der Sternenhimmel. Ich spüre, Gastfreundschaft ist so wichtig wie eh und je. Nach dieser gesellschaftlichen Fastenkur ist bei mir die Lust auf Gemeinschaft noch viel stärker geworden.

Jeder in der Runde ist glücklich, dass wir uns nicht via Zoom, sondern real begegnen. Alle Sinne sind einbezogen. Wir spüren einander, riechen einander, können uns berühren – seelisch und körperlich.

Plötzlich kommen sie wieder auf die großen Fragen: Nach Politik und Zukunft. In welcher Welt wir leben. Die Fragen von Glauben und Hoffnung in der Pandemie. Wir sprechen auch über unsere Unsicherheit: Ist das jetzt zu hart gewesen, wenn ich das so sage? Vielleicht sind wir auch etwas aus der Übung gekommen, wenn wir als Freunde so herzhaft und kontrovers miteinander diskutieren?

Bedingungslose Gastfreundschaft 2021

Vom französischen Philosophen Jaques Derrida stammt die Idee der bedingungslosen Gastfreundschaft. Die Offenheit für fremde Menschen, ohne zu wissen, wie unsere Begegnung ausgeht. Gestern Abend habe ich mit einem Überraschungsgast zu Abend gegessen. Wir kannten uns nicht, er kam aus Eisenach zu uns in der Gutshof.

Obwohl wir nur eine Stunde auseinander wohnen, sind wir in zwei ganz unterschiedlichen Kulturen aufgewachsen. Sehr schnell hat die Neugier einen Gesprächsraum eröffnet. Die Wartburg als geschichtsträchtiger Ort, aber auch als Automarke. Das Ende der DDR, Ost und Westfernsehen. Konfirmation und Jugendweihe. Eigene Lebensträume. Die Wahrnehmung der Medien. Das Leben in der Pandemie.

Als Fremde hatten wir einen kurzweiligen Abend bei leckerem Käse, nordhessischer Wurst, Salat und frischem Brot. Ein berührendes Gespräch zwischen Hessen und Thüringen. Einen offenen und neugierigen Dialog. Für mich eine sehr bereichernde Begegnung.

Erwachsensein bedeutet Gastgeber zu sein

Die Schriftstellerin Priya Basil hat ein Buch über Gastfreundschaft 2021 geschrieben. Von ihr stammt das Zitat, “dass Erwachsensein in Wahrheit bedeutet, eher Gastgeber als Gast zu sein.” Dieser Satz hat mich stark zum Nachdenken angeregt.

In meinem Bekanntenkreis beobachte ich zwei Tendenzen: Menschen, die Gastfreundschaft wie einen Whirlpool genießen. Sie baden im warmen Wasser und freuen sich über die Cocktails, die ihnen im Pool serviert werden. Ihr Wohlbefinden als Gäste scheint grenzenlos. Ich freue mich, wenn sich Menschen so fallen lassen und genießen können.

Gleichzeitig gibt es manche, die sich nicht trauen, selbst Gastgeber zu sein. Aus Angst, aus Vorsicht, aus Unsicherheit. Bei manchen scheint in ihrem eigenen Pool das Wasser zu fehlen oder der Strom, um ihn zu heizen. Andere verlieren sich im Vergleichen: Mein Pool ist nicht so schön wie deiner. Also lade ich erst gar nicht erst ein.

Sie sind – um im Bild der Schriftstellerin Prima Basil zu bleiben – als Gastgeber noch nicht erwachsen geworden. Gastgeber zu sein ist ein Schritt aus der eigenen Komfortzone in die Mündigkeit. Natürlich braucht es Zeit, den Grill anzuheizen und das Holz für ein Lagerfeuer zu sammeln. Doch die Begegnung ist aller Mühe wert: Für mich ist es bis heute ein Geschenk, Gäste bewirten zu dürfen.

Wichtiger als das Menü ist die Sicherheit des Gastgebers

Etliche Menschen denken, dass es vor allem auf das Essen ankommt, um ein guter Gastgeber zu sein. Wer glaubt, nicht gut kochen zu können, habe schon verloren. Doch nach meiner Beobachtung ist die wichtigste Aufgabe nicht das Menü, sondern seinen Gästen die notwendige Sicherheit zu bieten, damit sie sich wirklich entspannen können.

Jeder Gast bringt ein paar Fragen und Unsicherheiten mit, die er in der Regel nicht äußert: Wo ist mein Platz am Tisch? Wann darf ich mich setzen? Wer gibt mir ein Signal, mit dem Essen zu starten? Darf ich mich selbst bedienen? Selbst Wein einschenken? Werde ich mit meinen Bedürfnissen gesehen?

In Pandemiezeiten gehört zu diesem Wunsch nach Sicherheit auch die Frage der Hygiene. Wie leben die Gastgeber dieses Thema? Wie entspannt, wie fürsorglich sind sie? Ein großes Vorbild sind für mich unsere Freunde in Hofheim im Taunus, bei denen wir im letzten Jahr mehrfach eingeladen waren. Sie haben auch in der schwierigen Phase umsichtig und mit sehr viel Fingerspitzengefühl eine wohltuende Sicherheit vermittelt.

L´Chaim – Das Leben feiern

Meine Frau und ich freuen uns nach Monaten des Lockdowns auf ein besonderes Sommerfest. Da unsere beiden sechzigsten Geburtstage ausfallen mussten, wollen wir Ende Juli ein fröhliches Fest im Garten feiern. Sie können sich gar nicht vorstellen, wie sehr wir uns auf diesen Tag freuen.

Bereits im Vorfeld hat es uns beiden einen großen Spaß gemacht, Einladungskarten zu entwerfen und diese ganz altmodisch per Post zu verschicken. Mit großer Freude haben wir das Essen ausgewählt und die Getränke.

Ich selbst habe mir Jazz-Musik gewünscht. Nicht aus der Streaming-Cloud, sondern live mit einer kleinen Band aus Hessen. Schlagzeug, Klavier, Bass und Saxophon. Gerade jetzt nach einem schwierigen Jahr wieder Künstler unterstützen und nach manchen Entbehrungen das Leben feiern.

Die Pandemie hat uns allen deutlich gemacht, wie kurz das Leben sein kann. Wirklich kostbar sind die Menschen, mit denen wir befreundet sind, die Momente des Glücks. Im Judentum gibt es einen Trinkspruch, den meine Frau und ich lieben: “L´Chaim – Auf das Leben.” Das wollen wir in diesem Sommer feiern.

Wieviele Sommer mag es noch geben?

Lassen Sie mich mit einer Zeile von Reinhard Mey enden: “Wie viele Sommer mag es noch geben?” Ein Lied, das mir meine eigene Endlichkeit vor Augen führt. Es erinnert mich an geliebte Menschen, die wir im letzten Jahr verloren haben. An gemeinsame Abende, ihr Lachen, an Feste, die wir noch zusammen gefeiert haben.

Gleichzeitig mahnt mich dieses Lied auch, die Chancen zu nutzen, die das Leben bietet. Gerade in diesem Sommer Menschen einzuladen und mit ihnen mein Leben zu teilen. Keiner von uns weiß, ob es es der letzte Sommer mit bestimmten Familienangehörigen und Freunden sein wird. Oder ein ganz besonderer, an den wir uns auch in Jahren noch erinnern.

Herzliche Sommergrüße und viel Spaß bei der Gastfreundschaft 2021

Ihr Rainer Wälde