In den letzten Tagen hat ein Buch die Bestsellerlisten erklommen: Eden Culture. Der Augsburger Philosoph und Theologe Johannes Hartl plädiert für eine Ökologie des Herzens und trifft damit die Sehsucht vieler Menschen nach Verbundenheit.

eden culture

Die Verbundenheit als zentrale Lebens-Ressource

“Ich denke an dich und fühle mich mit dir verbunden, auch wenn wir uns gerade nicht treffen können!” Wie oft habe ich diesen Satz von Freunden während der letzten zwei Jahre gehört. Die Pandemie und auch der Lockdown hat viele Menschen ganz neu auf das Thema Verbundenheit aufmerksam gemacht: Du bist nicht alleine!

Hartl bietet dem Leser einen kurzweiligen Streifzug durch Philosophie und Weltgeschichte, um seine Thesen von einer “Ökologie des Herzens” zu illustrieren. Dabei greift er vier “Feinde der Verbundenheit” auf, die nach seiner Beobachtung diese zentrale Ressourcen unseres Lebens bedrohen: Den Kult der Selbstoptimierung, den Rausch der Geschwindigkeit, die verplante Kindheit und den Verlust der Sensualität. In seinem Buch diagnostiziert er eine “Umweltzerstörung des Herzens.”

Verbundenheit braucht Zeit

“Eile tötet alles, was uns teuer ist: Spiritualität, Gesundheit, Ehen, Familien, durchdachte Arbeit, Kreativität, Großzügigkeit”, schreibt der amerikanische Autor John Mark Comer und ergänzt: “Eile ist ein soziopathisches Raubtier, das in unserer Gesellschaft frei herum läuft.”

Auch der deutsche Physiker Harald Lesch thematisiert die zunehmende Geschwindigkeit und und forderte kürzlich, an der Schule das Fach “Langsamkeit” einzuführen. An dieser Stelle stecken viele von uns in einem Dilemma: Auf der einen Seite wollen wir unser Leben optimieren, die Zeit gut nutzen. Auf der anderen Seite müssen wir die Entschleunigung ganz neu lernen.

In “Eden Culture” formuliert Johannes Hartl fünf Wege zurück in die Verbundenheit: “Jeder Mensch hat einen wunden Punkt. Im normalen Alltag funktionieren wir problemlos, bis uns eine besondere Situation auf einmal mit unerwarteter Wucht trifft.” Für viele Kunstschaffende und Gastronomen hat sicher Corona diesen wunden Punkt getroffen. Spannend ist aus meiner Sicht, wie jeder einzelne einen neuen Weg für sich entdeckt.

Wie wir zur Verbundenheit zurückfinden

Der Philosoph empfiehlt einen emphatischen Umgang mit sich selbst zu trainieren. So wie es bereits Bernhard von Clairvaux im Hochmittelalter formuliert hat: “Wie lange noch schenkst du allen anderen deine Aufmerksamkeit, nur nicht dir selber! Denke also daran: Gönne dich dir selbst.”

Doch wer Clairvaux mit dem postmodernen Narzissmus gleichsetzt, tut ihm Unrecht. Im Gegenteil: Es geht ihm – und auch Hartl – im Kern um die Freundschaft mit sich selbst. “Die emphatische Wahrnehmung der eigenen inneren Realität.” Bewusst die eigenen Grenzen zu realisieren. Das geht nur, wenn ich mein Tempo drossle und aktiv entschleunige.

In den vergangen Jahren habe ich selbst immer wieder erfahren, welche Konsequenzen es haben kann, wenn ich die Verbundenheit mit mir selbst verliere. In Grenzsituationen unseres Lebens mag ein “Leben im Autopilot” gut gehen. Doch wenn ich selbst die Warnsignale meines Körpers missachte, muss ich damit rechnen, unerwartet aus der Kurve zu fliegen.

Entwurzelung und neues Einplanzen

In Eden Culture weist Johannes Hartl auf ein weiteres Phänomen hin: Die Entwurzelung. Viele Menschen leben in modernen Neubausiedlungen außerhalb der gewachsenen Ortskerne – häufig fernab der Heimat. Meine Frau und ich haben in Limburg selbst über Jahre so gelebt. Doch tief in unserem Inneren fühlten wir uns entwurzelt.

Es hat etliche Jahre gedauert, bis ich bemerkt habe: Mein Seele braucht kein modernes Architektenhaus mit raumhohen Glasfenstern. Im Gegenteil: Ich habe mich nach einem alten Haus auf dem Land gesehnt, das seine Geschichte hat – mit behauenen Steinen, Lehmputz und alten Holzdielen. Gut 10 Jahre hat es dann gedauert, bis dieser Traum von einem Gutshof zur Realität wurde.

Hartl weist auf die Trendsetter des “New Traditional” hin: Wir brauchen “die Verbundenheit mit der Vergangenheit… weil die Traditionsbrüche zur Norm geworden sind.” Ich spüre dies jeden Morgen, wenn ich aufstehe und auf die alten Mauern und die hunderte Jahre alten Bäume im Garten sehe. In diesem Moment bin ich verbunden mit der Geschichte, der Menschen, die bereits vor 300 Jahren in diesen Räumen, diesem Anwesen gelebt haben.

Wenn das Herz zur Ruhe kommt

“Während Technik von der ständigen Erneuerung lebt, bedarf Kultur des Aufbewahrens”, schreibt Johannes Hartl. Mich macht dieser Gedanke auch demütig. Seit unserem Einzug in den Gutshof ist mir bewußt, mein Leben ist nur eine kleine Epoche in dieser jahrhundertelangen Geschichte. Vor mir lebten unzählige Generationen hier und nach mir werden auch weitere folgen.

Wenn ich innehalte und meine eigene Endlichkeit anschaue, kommt mein Herz zur Ruhe. Ich betrachte die Regentropfen am Fenster, höre den Herbststurm, der um das Haus pfeift und bin ganz im Hier und Jetzt.

Mehr zum Buch finden Sie auf dieser Seite: https://edenculture.de