Langstrecken-Flüge zehren an den Nerven. Nicht nur bei Eltern und Kindern, sondern auch bei älteren Passagieren. Ich denke an meinen Quantas-Flug von Sydney nach Frankfurt: Gerade haben die Flugbegleiter den Service beendet. Nach und nach machen es sich die Reisenden bequem, starten auf dem Monitor einen Film oder lesen ein Buch. Mitten in der sich entspannenden Atmosphäre startet in der Reihe hinter mir ein älterer Herr eine Wut-Attake. Er sitzt mit seiner Frau am Fenster und poltert lautstark los: „Das ist eine Unverschämtheit. Sie können Ihren Sitz doch nicht einfach nach hinten machen. Das geht doch nicht …”
Deutsche Wut und eine australische Stewardess
Erschrocken schaut der junge Mann am Fenster neben mir sich um und weiß nicht so richtig, was er tun soll. Er liest ein englisches Buch – der Ärger aus der Reihe hinter ihm erschallt in klarem Deutsch. Ob er die Schimpf-Tirade überhaupt versteht?
Der verärgerte Reisende ruft lautstark nach der Stewardess. Sie erklärt ihm freundlich und bestimmt, dass jeder Passagier nach dem Essen das Recht habe, seine Sitzposition nach Belieben zu ändern. Ihre Erläuterungen sind gut nachvollziehbar, doch der germanische Zeitgenosse lenkt nicht ein. Die Flugbegleiterin ruft ihren deutschsprachigen Kollegen. Auch er erklärt noch einmal die Sachlage – ohne Erfolg.
Die Situation eskaliert. Der ältere Herr wird immer lauter und noch ärgerlicher. Nun ist Teamarbeit gefragt: Die Chefin der Kabine spricht mit dem jungen Mann neben mir, beruhigt ihn und entschuldigt sich für das unangemessene Verhalten des Deutschen. Eine Reihe dahinter versuchen mittlerweile zwei Stewards den Mann zu beruhigen. Ohne Erfolg. Es herrscht Knigge-Terror über den Wolken. Und ich frage mich, ob die internationalen Gäste auf diesem australischen Flug Verständnis für den lautstarken Repräsentanten der deutschen Kultur haben? Wohl kaum.
Zeit für einen Flugzeug-Knigge
Der Jumbo-Jet ist rappelvoll. Ausgebucht bis auf den letzten Platz. Der junge Mann neben mir sitzt direkt hinter der massiven Ausbuchtung der Tür am Notausgang und kann seine Beine ohnehin nur seitlich platzieren. Ein echtes Dilemma.
Irgendwann akzeptiert der ältere Herr, dass seine verbalen Attacken keinen Erfolg haben und trollt sich. Die Flugbegleiter ziehen kopfschüttelnd ab, die emotionalen Dunstwolken kreisen noch eine Weile über den betroffenen Reihen, dann verziehen auch sie sich.
An dieser Stelle wird mir klar: Wir brauchen dringend einen Flugzeug-Knigge in Deutschland. Im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur habe ich jetzt konkrete Empfehlungen erarbeitet, die von etlichen Medien veröffentlicht wurden.
Habe in meiner Tageszeitung schon über den “Flugzeug-Knigge” von Rainer Wälde gelesen! Finde ich genial, dass Sie sich darüber Gedanken machten und diese auch an “den Mann” bringen konnten! Viel Erfolg beim Umsetzen bzw. “Festschreiben”!!!! 🙂
Hatte mich sehr darüber gefreut!
Sehr gute Tipps!
Nach meiner Erfahrung wird jemand gegenüber anderen Menschen ausfällig, wenn der Polterer die Situation nicht aus der Perspektive des Gegenübers wahrnimmt. Seine Wahrnehmung konzentriert sich auf die Verletzung seines eigenen privaten Raums – ob sie beabsichtigt war oder nicht. Dann erlebt er sich oft von eigenen Emotionen wie Wut überschwemmt, was ihn nicht gelassen reagieren lässt.
Der Schlüssel zum Entschärfen einer solchen Situation: eine verständnisvolle und wertschätzende Haltung gegenüber dem Wütenden. Wenn er sich in seinen eigenen Bedürfnissen ernst genommen fühlt, wird er einlenken.
Herzlichen Dank für die beiden ermutigenden Rückmeldungen. Den “Schlüssel zum Entschärfen” finde ich spannend – auch wenn, es bei diesem emotionalen Stress sicherlich nicht der erste Gedanke ist.