Wie symbolisiert man einen Mann wie Greg Gorman, dessen Arbeiten schon zu Lebzeiten legendär sind? Noch schwieriger: Wie gelingt es mir in der Rolle eines Meisterschülers sein Portrait so aufzunehmen, dass es seinem Lebenswerk gerechtet wird?

Greg Gorman
Alle Fotos: Rainer Wälde

Meisterklasse auf 2.500 Metern Höhe

Wer den Namen Greg Gorman googelt, findet zuerst die Bilder der Hollywood Stars: Seine Portraits von Alfred Hitchcock, Meryl Streep oder Michael Jackson sind Ikonen der Fotografie. Legendär sind auch seine Fotos von Jonny Depp als Pirat der Karibik. Sie haben sich wie die Bilder des 11. Septembers in unser kulturelles Gedächtnis eingebrannt.

Einmal im Jahr lädt der 73jährige in Europa zu einer Meisterklasse ein. Meist in Italien, weil er dem heimischen Weißwein und dem lässigen Stil der Bewohner zugetan ist. Als Hintergrund seiner Inszenierung dient das Unesco-Weltkulturerbe der Dolomiten. Hier sammelt sich eine Gruppe von fünf Fotografen aus den USA, Südafrika und Europa.

Zum großen Kino rund um die Seiser Alm zählt auch das aktuelle Armani-Modell: Donny Lewis, ein lässiger Texaner mit Cowboystiefeln aus Straußenleder, der mit einem Fünf-Tage-Bart vor kargen Almhütten und eleganten Schlossmauern posiert.

It`s all about me

Zugegeben: Ich bin etwas nervös, als ich den Meister bei einem Stehempfang zum ersten Mal kennenlerne. Wir stehen in einem riesigen Pferdestall, an dessen Stirnseite eine imposante Ausstellung seiner besten Bilder zu sehen ist. Großformatige Schwarzweißfotos, edel gerahmt und aufwendig beleuchtet.

Der Meister hält Hof, das Ganze soll lässig wirken. Doch die Aaahs und Ooohs, wenn der Fotograf den Schülern seine Starportraits vorführt, bewirkt da genaue Gegenteil. So stehen wir stumm und ehrfürchtig mit Fingerfood vor dem großformatigen Oeuvre. Und hinter uns wiehern die Pferde.

Ich muss an sein neues Buch denken, in dem er die besten Fotos der letzten 50 Jahre versammelt hat. Es trägt den Titel „It`s all about you”. Doch in dieser Woche geht es vor allem um ihn, den Meister, der von dem amerikanischen Streetphotographer Joshua Smith unterstützt wird.

Nach dieser Ouvertüre bin ich mehr als gespannt, ob es mir gelingt, bei einem Lehrer mit übergroßem Ego zu bestehen. Zudem bin ich neugierig, wie er in der kommenden Woche seine gesammelte Lebenserfahrung weitergeben wird.

Das magische Spiel von Licht und Schatten

Jeden Morgen um 8.30 Uhr gibt es eine halbe Stunde, in der die fünf Schüler ihre zehn besten Arbeiten vom Vortrag präsentieren. Diese Einheit bietet mir die wichtigste Lernkurve. Seine Kommentare, manchmal in Nebensätzen versteckt, sind der Schatz, aus dem ich das meiste lerne.

Anschließend geht es auf Location. Die beiden Veranstalter Kathrin Köhler und Joachim Schmeisser sind zugleich auch Gormans Galeristen in München. Sie verfügen über exzellente Verbindungen – auch in Südtirol – und haben es geschafft, dass für unsere Gruppe vier außergewöhnliche Orte zugänglich wurden. Gleichzeitig sind sie sehr gute Gastgeber, die im Auf und Ab dieser Woche einen sicheren Rahmen gestalten. Auch wenn Gorman mitunter stündlich seine Planung ändert, gelingt es ihnen mit Souveränität die Gruppe zusammen zu halten.

Weil ich ein Promi bin

So stehen wir in der Mittagspause im Schloß Prösels, um dramatische Aktaufnahmen im Hollywood-Stil zu erleben. Perinne, ein wunderschönes Model aus Frankfurt kauert nackt in einer Nische der Mauer. Um sie herum werden große Lichtreflektoren aufgefahren, um ein magisches Gorman-Licht zu zaubern.

Ich bin überrascht, wie Greg die junge Frau im großen Bildformat platziert. Nach meinen Sehgewohnheiten schaut sie aus dem Bild heraus, statt den Betrachter in das Motiv hineinzuziehen. Zudem lenkt ein großes leeres Loch in der Wand von ihrem feingliederigen Körper ab.

Als neugieriger Schüler will ich von Gorman wissen, warum er diesen Aufbau wählt. Seine Antwort ist schlicht, aber direkt: „Weil ich ein Promi bin und du ein Nobody“. Na gut, denke ich, das ist ein flotter Spruch, aber eine schwache Begründung. Schließlich will ich seine Motive kennen, um von seinem Stil zu lernen. Doch außer einem generösen Lächeln kommt nichts.

Donny Lewis

Am vierten Tag geschieht die Wende

Bei allen Fotos, die ich seit Jahren mache, geht es mir immer darum eine Geschichte zu erzählen. Diese Einstellung gebe ich auch in der Meisterklasse nicht auf. Während einige Studenten versuchen, das Setting von Gorman zu kopieren oder zu variieren, ist es mir wichtig, eigenständige Bildideen zu entwickeln.

So wie in einem alten Tiroler Anwesen in Margreid an der Weinstraße, in dem auch der Bozen-Krimi der ARD gedreht wird. Dort entdecke ich in einem dunklen Treppenhaus einen geschmiedeten Kerzenleuchter. In diesem Moment entsteht meine Bildgeschichte von einem Mann im Smoking, der im Theaterfoyer seine Geliebte erwartet.

In wenigen Minuten habe ich die Szene inszeniert: Das Armani-Modell bekommt ein starkes Kopflicht von oben, dazu ein dramatisches Seitenlicht. Ich bitte ihn, erwartungsvoll den Blick zu senken, nehme den Treppenaufgang in den Anschnitt und fertig ist mein Bild.

Nun dreht sich das Spiel: Gorman hat meine Inszenierung beobachtet und lobt mich über allen Maßen für die Komposition und meinen Lichtaufbau. Ab diesem Moment bin ich nicht mehr ein Nobody, sondern sein Vorzeigestudent. Er rühmt meinen ausgezeichneten Blick und meine starken Bildideen.

Als ich zufrieden die Szene verlasse, packt er seine Kamera aus und fängt an mein Motiv zu shooten. Jetzt kopiert Gorman Wälde, denke ich. Eigentlich widerspricht das seinen eigenen Grundregeln. Aber mir gibt es die Bestätigung, dass ich auch als Fotograf meine eigene Stimme gefunden habe.

Jedes Foto ist ein kleiner Tod

Der französische Philosoph Roland Barthes hat vor seinem Tod 1980 ein kleines Buch veröffentlicht, das Endlichkeit und Fotografie miteinander verbindet: Die helle Kammer. Darin schreibt er von einem „unheimlichen Beigeschmack, der jeder Photographie eigenen ist: die Wiederkehr des Toten.“

Als ich diesen Satz zum ersten Mal las, bin ich kurz erschrocken. Beim Weiterlesen wurde mir klar, was Barthes damit meint. Im Moment des Fotografierens „erfahre ich im Kleinen das Ereignis des Todes.“ Dieser Moment, in dem der Auslöser gedrückt wird, dieser Sekundenbruchteil meines Lebens ist vorbei, er wird nicht wiederkehren.

In Greg Gormans Meisterklasse muss ich immer wieder daran denken. Vor allem dann, als ich als Abschlussarbeit den Meister selbst fotografieren soll. Mir ist bewusst, dass dies seine letzte Klasse in Europa sein kann, zumal er immer noch mit den Auswirkungen einer Krebserkrankung zu kämpfen hat.

Greg Gorman

Wie fotografiert man einen Meister?

So überlege ich sehr genau, welche Geschichte mein Bild über Gorman erzählen soll. Mir ist bewusst: Bei einem Fotografen denken viele zuerst an seine Augen. Doch was mir bei Gorman besonders auffällt, sind seine Hände. Sie haben prominente Hände geschüttelt, große Scheinwerfer bewegt und unzählige Kameras gehalten.

In Kastelruth steht an einer Hauswand der Satz: „Schaffen und Streben ist Gottes Gebot. Arbeit ist Leben, Nichtstun der Tod.“ Das scheint mir auch in Gregs Leben ein starker Antrieb zu sein. In der Meisterklasse wirkt er mitunter wie ein Getriebener, der Mühe hat zu ruhen.

Deshalb bitte ich ihn, dass er sich in einem alten Tiroler Bauernhof direkt in den Herrgottswinkel setzt und die Augen schließt. Mein Wunsch an ihn, ganz im Hier und Jetzt zu sein. Für einen kurzen Moment lässt die Unruhe nach. Ich spüre, wie er ankommt und fotografiere zuerst seine Hände.

Die Kamera ruht, sie steht als Symbol für Millionen von Bildern, die er aufgenommen hat. Es ist ein intimer Moment, in dem ich nur wenige Bilder aufnehme. Sie zeigen einen Greg Gorman, der nach 73 erfüllten Jahren für einen kurzen Augenblick innehält.

Beim Verabschieden drückt er mich herzlich und betont: Ich hoffe, dich bald wiederzusehen! Doch ich bin mir nicht sicher, ob sein Wunsch in Erfüllung gehen wird. Was jedoch sicher bleibt, sind meine inneren Bilder und das Foto seiner ruhenden Hände.