Viele Menschen sind überfordert: Mit der Flut von Nachrichten, den aktuellen gesellschaftlichen Problemen und den wachsenden Anforderungen im Beruf. Wie gelingt es gesund Grenzen zu setzen und gleichzeitig emphatisch zu bleiben?

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Wenn alles zuviel wird

Manchmal ist es mir einfach zuviel: Die mediale Überflutung, die erschütternden Nachrichten aus aller Welt. Kurz vor 19 Uhr überlege ich mir, ob ich wirklich das ZDF einschalte, um eine neue Dosis Weltschmerz zu verarbeiten.

Immer wieder stehe ich vor der Frage: Wie schütze ich meine Gedanken, meine Zeit und meine Kreativität? Ich merke, dass ich mich abgrenzen muss und möchte trotzdem verletzlich und emphatisch bleiben.

Auf meiner Suche nach Antworten bin ich auf den Mediziner Alfried Längle gestoßen. In einem Interview mit “Psychologie heute” unterstreicht er die positiven Wirkungen von Grenzen.

Grenzen umschließen etwas Wertvolles

“Alles Sein ist an Grenzen gebunden”, betont Längle: “Jedes Molekül ist begrenzt. Innerhalb der Grenze liegt etwas Wertvolles – das jetzige Leben.”

Damit die Grenzsetzung gelingt, gibt es aus meiner Beobachtung vier Dimensionen zu beachten: Die erste Dimension sind meine emotionalen Grenzen. Ich habe nur ein begrenztes Reservoir, um die vielfältigen Probleme in meiner Umwelt, aber auch in meinem eigenen Alltag aufzunehmen und nach Möglichkeit zu lösen.

Gleichzeitig ist es mir wichtig, auch meine eigenen Gefühle wahrzunehmen und sie auch vor anderen zu schützen. Unvergessen ist für mich ein Gespräch mit Nachbarn. Ich erzählte von einem Todesfall in meiner engsten Familie. Statt Empathie kam die Rückmeldung: “Unser Hund ist vor einigen Monaten auch gestorben.”

Natürlich kann ich verstehen, dass der Verlust eines geliebten Tieres für die Nachbarn ein schwerer Schlag war. Gleichzeitig hat mich der Vergleich sehr schnell verstummen lassen. Ich habe die Unterhaltung höflich beendet, um mich emotional zu schützen.

Zeitliche Grenzen setzen

Jeder kennt Menschen, die mit der Lebenszeit anderer mehr als großzügig umgehen. So wie der Vertreter der Sparkassen-Versicherung, der meine Frau und mich kürzlich 90 Minuten warten ließ. Vor dem Gespräch mussten wir uns drei Monate gedulden, bis es überhaupt zustande kam. Doch statt einer Entschuldigung gab es nur ein lässiges Schulterzucken.

Sehr viel Geduld brauche ich bei Menschen, die ihre Geschichten gleich dreifach erzählen und nicht merken, wie sehr sie ihr Gegenüber damit überfordern. Bei Besuchern finde ich es schwierig, mich abzugrenzen. Deutlich leichter ist es am Telefon die eigene Grenze zu signalisieren.

Im privaten und beruflichen Umfeld finde ich es hilfreich, direkt zu Gesprächsbeginn zu fragen, wieviel Zeit mein Gegenüber hat. Schließlich will ich auch seine Grenze wahren.

Materielle Grenzen ansprechen

Ich finde es wichtig, auch meine materiellen Grenzen wahrzunehmen: Wenn ich mit bei Freunden etwas ausleihe, ist es für mich ein hohes Gut, dies auch unbeschädigt wieder zurückzugeben oder für einen Schaden oder Verlust einzustehen.

Mit Freunden im Dorf praktizieren wir Rasenmäher-Sharing. Wir haben gemeinsam einen Aufsitzmäher gekauft und nutzen diesen abwechselnd. Das funktioniert seit drei Jahren sehr gut.

Auch Großzügigkeit gehört für mich in diesen Bereich. Allerdings gibt es Menschen, die gerne nehmen und beim Geben mehr auf sich als auf ihr Gegenüber achten. Die sich lieber einladen lassen, als selbst auch mal Gäste empfangen. Im Freundeskreis spreche ich solche Disbalancen an. Auch das gehört für mich zum gesundem Grenzen setzen.

Körperliche Grenzen erkennen

Kürzlich war ich auf einer Familienfeier: Die Mutter des Gastgebers hakte sich bei mir ein und überflutete mich gleichzeitig mit einem Schwall von Emotionen. Sie erzählte mir Familien-Internas, die mich nichts angingen und auch nicht interessierten. Diese doppelte Grenzüberschreitung bewog mich sehr schnell zum Rückzug.

Zum körperlichen Grenzbereich zählen auch Umzugsanfragen von Bekannten. Im Freundeskreis habe ich in jungen Jahren gerne mitangepackt. Doch mittlerweile empfehle ich beim Transport von schweren Möbeln junge Leute zu fragen.

Ich bin zu Gefälligkeiten gerne bereit, aber hier spüre ich eine Limitierung. Natürlich ist mir bewußt, dass mancher auch verschnupft reagiert. Falls ich selbst nochmals umziehen sollte, werde ich auch ein Unternehmen damit beauftragen, um hier gute Selbstfürsorge zu betreiben.

Aktive Selbstfürsorge trainieren

Professor Längle weist als Mediziner darauf hin, dass ein gesundes Wachstum nicht über Grenzen hinausgeht. “Ein Wachstum, das Grenzen durchbricht, nennen wir in der Medizin Krebs.”

Wenn ich beruflich und privat meine Grenzen nicht achte, melden sich bei mir Erschöpfung und andere psychosomatische Beschwerden. Über die Jahre habe ich gelernt, die Warnsignale zu beachten. Mein Hörsturz vor zwei Jahren war ein drastischer Schuß vor den Bug.

Zu einem gesunden Grenzen setzen gehört für mich, die Bedürfnisse des anderen genauso zu respektieren wie meine eigenen. Hier ist innerer und äußerer Dialog gefragt: Was ist dir wichtig? Was ist mir wichtig?

“Wenn Menschen ihre inneren Signale permanent übergehen”, so Professor Längle, sei ein Burnout sogar “das Gesündeste was man kriegen kann.”