Seit 1995 hat sich die Auflage aller Tageszeitungen in Deutschland halbiert. Als langjähriger Leser beschäftigt mich die Frage: Hat die Lokalzeitung noch eine Zukunft? Oder haben wir mit dem Trend zur Online-Lektüre selbst das Grab geschaufelt?

Lokalzeitung
Die Zeit 16

Ein großer Verlust von Vielfalt

Ich erinnere mich noch sehr gut an meinem 18. Geburtstag: An diesem Tag erschien mein erster Artikel in der “Badischen Zeitung” in Freiburg. Für mich war dies ein glücklicher Moment und der Auftakt meiner langjährigen Mitarbeit als freier Lokalreporter.

Rund 10 Jahre habe ich rund um Freiburg jede Woche recherchiert und zahlreiche Artikel geschrieben. Zwischen Kaiserstuhl und Elztal war ich in einem sehr großen Radius aktiv und habe neben der Tageszeitung auch für vier Wochenzeitschriften berichtet.

Als “Wälde vom Blättle” war ich im Landkreis gut bekannt. Damals gab es im Fernsehen nur drei Programme. Die Zahl der Abonnenten und Leser war in den Achtziger Jahren noch sehr hoch. Doch mit dem Einzug des Privatfernsehens gab es einen gravierenden Umbruch, der vom Internet verstärkt wurde. Die Erosion der Tageszeitungen begann.

Mittlerweile wurde der gesamte Markt durch Zukäufe und Fusionen immer mehr konzentriert. Redaktionen geschlossen, Stellen abgebaut. Immer weniger Redakteure müssen immer größere Radien abdecken. In Deutschland gibt es immer mehr Kreise, in denen nur noch eine Zeitung das Monopol hat, oder besser gesagt überlebt hat.

Was passiert, wenn kein Reporter mehr kommt

In meinem Freundes und Bekanntenkreis gibt es etliche Menschen, die seit Jahren keine Tagungszeitung abonniert haben, viele auch kein politisches Wochenmagazin. Häufig ernte ich ein Schulterzucken, warum dies so ist: Kann ich alles auch online lesen, lautet die häufigste Antwort.

Doch Online ist kaum Geld zu verdienen und damit fehlt auch das Budget, um gute Journalisten zu finanzieren. In den USA gibt es in mehr als 200 Counties gar keine digitale oder auch gedruckte Zeitung mehr. Diese Regionen nennt man mittlerweile “News Desert” – mit gravierenden Folgen.

“Die Zeit” berichtete kürzlich, dass in US-Regionen ohne lokale Berichterstattung sowohl die Umweltverschmutzung, als auch die Wirtschaftskriminalität zugenommen hat. Die Erklärung ist einfach: Es gibt keine kritische Berichterstattung, die Versäumnisse öffentlich thematisiert. Zudem habe es mehr Verstöße gegen das Arbeitsschutzrecht gegeben.

Jeder Leser entscheidet über die Zukunft

Am Wochenende habe ich in meinem Freundeskreis mehrere Gruppen befragt: Hast du schon einmal darüber nachgedacht, wie es wäre, wenn es in in fünf oder zehn Jahren keine Lokalzeitung mehr gibt? Die Reaktion war mehrheitlich: Ist mir egal. Dann habe ich erneut nachgehakt: Bist du dir über die Konsequenzen bewusst? Eine Frau berichtete, dass sie vor vier Monaten die Tageszeitung abbestellt hat – nach unserem Gespräch meinte sie: Vielleicht muss ich das doch revidieren.

Natürlich kann man angesichts dieser Entwicklung lässig mit den Schultern zucken. Doch ich persönlich halte die Tageszeitungen in unserem Land für einen wichtigen Grundpfeiler unserer demokratischen Kultur. Deshalb habe ich seit Jahren auch drei Abos abgeschlossen: Die lokale HNA, die überregionale WELT und die wöchentliche ZEIT.

Mir ist es wichtig, dass die Pluralität der Meinungen gewahrt bleibt und ich möchte dies auch in Zukunft aktiv unterstützen. Gleichzeitig nehme ich auch die lautstarke Kritik während der Pandemie sehr deutlich wahr. Frustrierte Leser, die gerade am Anfang im Frühling 2020 eine Pluralität der Meinungen vermisst haben.

Doch dieser Anfangsvorwurf, der von Populisten gleich in “Lügenpresse” umgewandelt wurde, stimmt nach meiner Beobachtung seit eineinhalb Jahren nicht mehr. Die kritischen Stimme zur Landes- und Bundespolitik sind schon seit längerer Zeit deutlich zu vernehmen, wenn ich die unterschiedlichen Zeitungen verfolge. Die Pluralität ist vorhanden – vorausgesetzt natürlich, dass ich auch mehrere Medien nutze.

Wie sich Leitmedien derzeit neu erfinden

Von Sebastian Turner, dem früheren Herausgeber des Berliner Tagesspiegels gab es am letzten Wochenende eine Zukunftsvision. Er glaubt an einen Boom bei den “Vertikals” – das sind hochspezialisierte Online- Medien, die sich mit hoher Kompetenz auf bestimme Themen fokussieren – so wie Watch Medier in Dänemark und Table.Media in Berlin.

Diese Spezialisierung hat ihren Preis und zielt auf Premium-Abos ab, die für exzellenten Inhalt bereit sind, mehr zu bezahlen. So wie beim Vorreiter Politico in Wahington, der gerade vom Axel Springer Verlag übernommen wurde. Doch diese Entwicklung hat gravierende Konsequenzen: Seriöse Berichterstattung können sich dann nur noch die Wohlhabenden leisten.

Ich bin sehr gespannt, wie sich der Markt der Tageszeitungen weiterentwickelt und bin überzeugt: Jeder von uns hat es in der Hand, ob es in fünf oder zehn Jahren noch hochwertige Regionalzeitungen gibt. Deshalb bin ich neugierig auf Ihre Kommentare: Nutzen Sie noch regelmäßig eine Lokalzeitung? Wie bewerten Sie als Selbständiger oder Unternehmer die aktuelle Entwicklung?