Foto: shutterstockFür einen Filmemacher ist die hohe Sensibilität ein wertvolles Gut, doch unter Männern häufig ein Tabuthema:  Bereits als Teenager bemerkte ich, dass ich meine Umwelt viel intensiver wahr nahm als andere Jungen: Wärme, Licht, Düfte, Geräusche – irgendwie schien ich dünnhäutiger zu sein. Lag es nur an meiner Biografie, dass meine Mutter gestorben war, als ich 11 Jahre alt war? Auf die Idee, dass dies ein Teil meiner Persönlichkeit sein könnte, kam ich nicht. Ich war extrem neugierig, wissbegierig. Dazu mit einer großen Phantasie ausgestattet. Hörspiele mit Radio waren ganz mein Ding. Ich liebte es, in fremde Welten einzutauchen und in meiner inneren Welt spazieren zu gehen.

Als rasender Reporter unterwegs

Mit 14 Jahren startete ich am Gymnasium eine Schülerzeitung. In Kürze waren ein Redaktionsteam zusammen. Mein Part: Titelseite, Layout, Werbung, Druck – ich war „Junge für alles“, keine Ahnung, wie so was geht, aber kreativ genug, mich in die Themen hinein zu fuchsen und passende Lösungen zu finden. Schnell war meine Zeit als „rasender Reporter“ für die Schülerzeitung, dann für die Tageszeitung voll gefüllt. Ja, es stimmte: Ich war anders als viele junge Männer in meinem Alter, aber ich hatte eine Aufgabe gefunden, in der ich meine sensible, meine kreative Seite in vollem Maß ausleben konnte. Plötzlich spürte ich, welche Energie und wie viel Kraft in meiner Sensibilität steckten.

Wenn alle Antennen auf Empfang sind

Seit über 20 Jahren arbeite ich als Filmemacher und nutze wie bei der Schülerzeitung die verschiedenen Begabungen, um einen Film zu gestalten. Es dauert meist ein Jahr, bis ein Dokumentarfilm von der Idee bis zur Kinopremiere fertig ist. Eine hohe Investition an Lebenszeit für 60 Minuten Film. Über die Jahre habe ich das Handwerkszeug gelernt, doch die eigentliche Kraft entsteht durch das Geschenk der Sensibilität. Eine Minute Film besteht in der Regel aus 20 Einstellungen, Szenen, Bildern. Dazu der Schnitt, die Übergänge. Ohne die passende Musik, den Kommentar, Sprecherstimmen und die richtige Tonmischung wirkt auch das beste Bild nicht. Wenn ich arbeite, sind alle meine Antennen auf Empfang gestellt und ich kann in Sekundenbruchteilen gleichzeitig sehen und hören, was nicht stimmt. Das ist auf der einen Seite extrem anstrengend, auf der beruflichen Seite ein großer Segen.

Die Gefahr zu vieler Reize

An dieser Stelle wird die Schattenseite meiner Begabung sichtbar. Wenn ich nicht aufpasse, kommt mein gesamter Körper in eine Phase der Überreizung, der nur schwer zu stoppen ist. Über die Jahre habe ich gelernt, die Signale zu beachten: Wenn das Maß von Anspannung und Entspannung stimmt, bin ich über lange Zeit im grünen Bereich, doch wehe die Ampel geht auf Gelb und ich merke es nicht. Dann ist es bis zur Vollbremsung oder dem Unfallschaden nicht mehr weit. Mir ist bewusst: Wenn ich bei Rot die nächste Kreuzung überquere, muss ich mit den Folgen rechnen. Ich kann Ihnen genügend Beispiele nennen, bei denen ich die Ampel ignoriert habe. Schon einige Male war ich messerscharf vor einem massiven Burnout.

Elaine Aron: „Sind Sie hochsensibel?“

Eine große Hilfe war für mich das Buch von Elaine Aron: „Sind Sie hochsensibel?“ Seit über 20 Jahren forscht die Psychotherapeutin und Professorin zu diesem Thema. Sie gilt als Pionierin auf dem Gebiet der Hochsensibilität. Ihre Arbeit hat mir geholfen, meine eigene Grenzen besser zu verstehen: „Sie nehmen Feinheiten wahr, die anderen entgehen, und erreichen deshalb viel eher einen Punkt nervlicher Erregung. (…) Die Erregung kann sich bemerkbar machen durch Erröten, Zittern, Denkblockaden, Magenkrämpfe, Herzklopfen, Muskelverspannungen und Schwitzen.“

Dem Körper nicht zu viel abverlangen

Um dies zu vermeiden, brauche ich Oasen in meinem Alltag: Die Sonntage sind mir heilig, bleiben ungeplante Zeiten im Wochenablauf. Ich versuche, an diesen Tag auch keine privaten Termine zu planen, damit meine Seele frei von Verpflichtungen durchatmen kann. Bei der jährlichen Planung, die ich mit meiner Frau immer Anfang Januar erstelle, nutzen wir einen Spielplan, um alle Lebensbereiche im Überblick zu behalten: Familie, Freunde, Freizeit, Glaube, Beruf. Wir beide planen – jeder für sich – Tage der Stille, an denen wir ungestört eine Standortbestimmung machen: Was ist bisher gut gelaufen, was will ich ändern?