Mit seinem Roman “Maria, ihm schmeckt nicht” hat Jan Weiler seinen ersten Bestseller veröffentlicht. Rund zwei Millionen Bücher wurden verkauft und die Geschichte verfilmt. Doch eigentlich wollte Jan Weiler nie ein Buch schreiben. Wie es dazu kam erzählt er mir beim Mittagessen in seiner Meisterklasse für Romanautoren.

Nervosität in der Premium-Liga

Ich bin ziemlich nervös, als ich am ersten Tag zur Meisterklasse in Reutlingen eintreffe. Vier Spiegel-Bestseller-Autoren teilen ihren Erfahrungsschatz. Im Raum sitzen neun Teilnehmer. Wie sich schnell herausstellt, ist es die Premium-Liga aus Deutschland, Österreich und der Schweiz.

Neben mir sitzen Journalisten, die hauptberuflich für “Die Zeit”, den “Spiegel” oder die NZZ schreiben. Absolventen der führenden Journalismus-Schulen, die aus hunderten von Bewerbern ausgewählt wurden. Eine geballte Ladung von Kompetenz – auf Dozenten und Teilnehmerseite. Ich merke schnell, meine Nervosität ist begründet.

Ich freue mich besonders auf Jan Weiler, dessen humorvolle Geschichten ich schätze. Er ist für mich ein Benchmark im Storylling und ich bin sehr gespannt auf seinen Erfahrungsschatz, wie er seine Romane und die Entwicklung von Figuren angeht.

Wie wird man zum Schriftsteller?

Jan Weiler war Chefredakteur des SZ Magazins. Trotz einer langfristigen Themenplanung fielen plötzlich fünf Seiten aus. Weiler überlegte, wie er den freien Platz im Magazin füllen könnte und kam auf die Idee einen Artikel über seinen italienischen Schwiegervater zu schreiben.

Dieser Artikel, in dem der Papa mit echtem Name portraitiert wurde, löste bei einer Lektorin des Ullstein Verlags die Idee aus, Weiler zu einem Roman zu motivieren. Sie lud ihn drei Mal zum Essen ein – doch der SZ Journalist ließ sich nicht überreden. Er hatte weder Zeit noch Lust einen Roman über seinen Schwiegervater zu schreiben.

Erst ein Brief des Finanzamtes Wolfratshausen löste bei ihm den Reflex zum erneuten Nachdenken aus. Die Steuernachzahlung war dieselbe Summe wie der Autoren-Vorschuss, den ihm die Lektorin angeboten hatte. Kurz entschlossen nutzte Jan Weiler den anstehenden Osterurlaub, um seinen Roman “Maria ihm schmeckt nicht” zu entwickeln.

Herr Marcipane und ein Karmann Ghia

“In der Fiktion bist du Gott und kannst alles erschaffen”, erzählt Jan Weiler. Damit bringt er ziemlich genau auf den Punkt, wie auch ich meine Arbeit als Romanautor erlebe. In meiner Phantasie kann ich nicht nur Figuren erfinden, sondern ihnen mit den Dialogen auch Leben einhauchen. Sie für den Leser zu spannenden Persönlichkeiten machen.

Jan Weiler berichtet, wie er aus dem Vorbild seines Schwiegervaters den fiktiven Herrn Marcipane entwickelt hat. Antonio heißt er im Roman und lebt in einer kleinbürgerlichen Reihenhaus-Siedlung aus den 70er Jahren in Krefeld. Vor der Haustür hängt ein riesiges Schild mit seinem Namen. Davor parkt ein Karmann Ghia.

Drei Viertel der Geschichte sei erfunden, berichtet Weiler, reale Menschen habe er verfremdet. Und doch steckt in allen Personen immer auch ein Teil der eigenen Biografie. Sein Schwiegervater habe das Buch selbst nie gelesen, aber er sei mächtig stolz darauf gewesen und habe wie ein Autor auch Bücher signiert.

FürJan Weiler war mit diesem Erstlingswerk der Fall erledigt, die Steuerschuld bezahlt. “Ich habe ohne Erfolgsabsicht geschrieben”, berichtet er lapidar. Doch dann landete sein Debüt auf der Bestsellerliste. Jürgen von der Lippe stellte es in seiner Sendung vor. Zuerst erreichte es Platz 46, dann blieb der Roman ganz oben. Fünf Jahre war er in der Top 10 der meist verkauften Bücher.

Den Leser an das Buch fesseln

Wie gelingt es den Leser so an das Buch zu fesseln, dass er es nicht mehr aus der Hand legen kann? Das ist die Gretchenfrage, die uns auch in der Meisterklasse beschäftigt. Bei Jan Weiler sind es die unterhaltsamen Elemente, die das Interesse des Lesers aktivieren.

Deshalb trainieren wir aktiv das Schreiben aus dem Stehgreif. Einen kurzer Impuls, dann entwickelt jeder von uns in kürzester Zeit neue Figuren und spannende Dialoge. Natürlich spielt auch der Humor eine große Rolle. Weiler berichtet, wie er einen Sonnenbrand illustriert: “Der Nacken sieht aus wie Servelatwurst”.

Sofort hat der Leser ein Bild vor Augen: “Sie war eine Frau für die ein Kardinal Kirchenfenster eintreten würde.” Die Figuren haben etwas Unerwartetes, das den Romanleser fasziniert.

Irgendwann läuft es wie Schnupfen

Mittlerweile hat Jan Weiler eine ganze Reihe von Romanen veröffentlich. “Irgendwann läuft es wie Schnupfen”, betont er mit einem Augenzwinkern. Das deckt sich auch mit meiner Erfahrung. Mittlerweile habe ich mit vier Romanen so viel Erfahrungen gesammelt, dass auch die Leser spüren, wie viel Spaß ich beim Schreiben hatte.

Kürzlich schrieb mir ein Krimi-Leser, der bereits “Sommertosen” gelesen hat, wie sehr er beim Lesen spürte, dass ich ganz in meinem Metier als Romanautor angekommen bin. Damit bin ich bei einer zentralen Frage, die mich auch bei der Meisterklasse beschäftigt hat: Wann spürt man selbst, dass man in der neuen Identität angekommen ist?

Für mich selbst war es das Feedback der Dozenten auf meine Texte, die ich während der Meisterklasse geschrieben und zur Diskussion gestellt habe. Bei den Reaktionen – auch der anderen Teilnehmer – wurde deutlich: Ich bin jetzt Schriftsteller. Das ist ein wesentlicher Teil meiner Identität geworden.

Von daher werde ich auch in den kommenden Jahren noch mehr an neuen Romanen arbeiten. Diese Schreibzeiten waren auch während der Pandemie die glücklichsten Wochen des Jahres. Ende November gehe ich zwei Wochen in Klausur, um die Figuren und Geschichten für eine neue Romanserie zu entwickeln. Darauf freue ich mich sehr.