Sicher haben Sie es gemerkt: Ich habe mich in den letzten Wochen etwas rar gemacht. Das lag an meinem vierten Roman, an dem ich täglich vier Stunden geschrieben habe. Doch diese Auszeit hat bei mir sehr viel kreative Energie freigesetzt und mich beflügelt.

kreative Energie
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Der gute Geist der Ideen

Heute morgen habe ich einen Artikel des Philosophen Wilhelm Schmid gelesen. Er beschreibt einen guten Geist der Kreativität, der uns beseelt. Schmid nennt ihn “naiv im besten Sinne.” Ich finde dieses Bild beschreibt sehr gut, was ich bei kreativen Prozesse erlebe. Da ist das Glück, etwas Neues anzufangen, unbekanntes Terrain zu erobern.

Ein Hauch von Pioniertum. Einen Planwagen fahren, Freiheit spüren, neues Land erkunden. Auch bei meinem vierte Roman habe ich wieder dieses Glücksgefühl erlebt. Es fühlte sich toll an, eine ganz neue Geschichte zu entwickeln. Aber auch unbekannte Themen zu erschließen.

Zum ersten Mal habe ich mit Mitarbeitern des Bundeskriminalamtes zusammen gearbeitet. Ich wollte wissen, wie Ermittlungen über die Landesgrenzen hinaus verlaufen. Welche Befugnisse ein deutscher Kommissar im Ausland hat?

Der kritische Geist, der alles hinterfragt

Doch jeder kreative Geist auch auch einen Gegenspieler. Wilhelm Schmid nennt ihn den “unguten späteren Geist, der hin und geht und diskurriert.” Das lateinische Wort steht für “Auseinanderlaufen.” Ich finde dies einen sehr passenden Begriff. Jeder von uns kennt Teambesprechungen, die sich positiven Aufbrüchen schnell in zermürbende Diskussionen verwandeln.

Der Philosoph hat dafür ein passendes Bild “Die schöne Melodie des anfänglichen Geistes erstirbt, wenn sie zugetextet wird.” Im Schreibprozess nenne ich ihn den “inneren Kritiker”. Wenn er sich im kreativen Flow zu Wort meldet und jede Silbe kritisch hinterfragt, bekommt er von mir einen Mundknebel. Manchmal sage ich auch “Halt die Klappe, jetzt schreibe ich.”

Mir hilft dieses Bild, beim allerersten Entwurf im guten Geist der Kreativität zu bleiben. Jede Form von Kunst braucht wie ein schwacher Docht am Anfang Windschutz, damit das Feuer nicht ausgeht. Aus diesem Grund schütze ich in der ersten Phase auch meine Texte. Niemand darf sie lesen, bis ich selbst zufrieden bin. Ich glaube dies ist ein sehr wichtiges Prinzip, damit die eigene Kreativität gesund wachsen und sich entwickeln kann.

Kreativität lebt von Ritualen

Ich bin ein großer Freund von Ritualen – auch beim kreativen Arbeiten. Beim Schreiben habe ich ein Anfangsritual. Ich setzte mich zuerst in meinen Lieblingssessel. Auf dem Fensterbrett liegen farbige Blöcke mit Innox Haftnotizen. Sie kommen aus Finnland und halten ohne Klebstoff an jeder Oberfläche.

Für die Struktur meines Textes nehme ich gelb. Für die Hauptfiguren jeweils eine Symbolfarbe. Dann notiere ich auf diesen Haftzetteln alle Ideen, die ich für diese Figur habe. Mein Anfangsritual endet nach zwei Tagen, wenn ich alle farbigen Zettel an der Wand meines Büros sortiere. Auf vier Metern ist die gesamte Dramaturgie des Buches visualisiert.

Das eigentliche Schreiben besteht aus Fleiß und Glück. Täglich vier Stunden, meist von 9 bis 13 Uhr. Selbstverständlich gibt es auch bei mir eine zweite Phase der Selbstkritik und eine dritte Phase der Fremdkritik. Aber erst dann, wenn die erste Phase des kreativen Flows abgeschlossen ist.

Mein Schlussritual ist das Telefonat mit dem Staatsanwalt. Ganz am Ende, wenn alles fertig geschrieben ist, schildere ich ihm den Fall und bitte um eine strafrechtliche Einschätzung. So wie am Mittwoch letzte Woche. Er spricht das “juristische Urteil” zu meiner Geschichte, bewertet den Fall und nennt das Strafmaß für den Täter.

Wenn kreative Energie schwindet, entsteht Leere

Der gute Geist der Kreativität hat sehr viel mit Begeisterung zu tun. Wenn ich kreativ sein kann, finde ich mein Leben spannend. Doch wenn die Energie schwindet, entsteht mitunter auch Leere. Von den irischen Mönchen, die vor 1.500 Jahren durch unseren Kulturraum gewandert sind, habe ich ein wichtiges Prinzip gelernt: Ebbe und Flut.

Im Norden von England gibt es die Insel Lindisfarne, die durch den Wechsel der Gezeiten vom Festland getrennt ist. Bei Ebbe kamen viele Menschen ins Kloster auf der Insel. Doch die Mönche waren sehr glücklich, wenn die Flut wieder einsetzte und die Besucher verschwanden.

Ich finde dieses Bild sehr passend für jede Form von Kreativität. Nach jeder Flut von Ideen braucht es auch wieder eine Ebbe. Diese Leere fühlt sich mitunter beängstigend an. Doch es macht wenig Sinn, sich dagegen zu wehren: Weil in diesem Freiraum, der scheinbaren Leere auch die Energie für eine neue kreative Flut entsteht.