Diese Krise stellt Europa auf den Kopf. Vielen wird bewusst, wieviele Bereiche “systemrelevant” sind. In diesem Beitrag möchte ich stellvertretend drei Führungskräfte vorstellen. Gleichzeitig lade ich Sie ein, gemeinsam für eine neue Kultur der Wertschätzung einzustehen.

Einige Pflegehelden von Hilfe Daheim in Hamburg mit ihren neuen Schutzmasken: Foto: A. Gatz

In der Pflege kann es kein “weiter so” geben

Zugegeben: Unsere Psyche wünscht sich in das alte Leben zurück. Das bestätigt auch Nicole Gatz, Pflegedienstleiterin in Hamburg: “Als Kind konnte ich mich im Traum, wenn dieser wirklich schlimm wurde, in eine Ecke setzen, die Hände vor das Gesicht halten und dann bin ich aufgewacht”, erzählt Nicole Gatz. “Hat leider nichts genutzt, die Realität ist nun eine andere.”

Plötzlich wird auch manchen Kindern von pflegebedürftigen Eltern bewusst, wie selbstverständlich sie die tägliche Versorgung genommen haben. Doch Nicole Gatz fühlt sich allein gelassen: “Meine Kollegen und ich haben sehr schnell verstanden, dass uns in dieser Situation keiner hilft.” Zudem beobachtet sie, wie jetzt Rechtsanwälte die Krise noch verschärfen: “Ich habe mit Entsetzen von Seniorenheimen gelesen, die vom Coronavirus betroffen sind und verstorbene Bewohner zu beklagen haben. Das ist wirklich dramatisch.”

Nicole Gatz fügt hinzu: “Die Mitarbeiter leisten dort, was sie können, und nun treten die ersten Rechtsanwälte auf, die diese Einrichtungen verklagen wollen. Mitten in der größten Herausforderung, die die Pflege je erlebt hat, werden als erstes Schuldige gesucht. Deutlicher kann man fehlende Wertschätzung wirklich nicht zeigen.”

Wertschätzung und gegenseitiges Verstehen

Ich frage Nicole Gatz, wie aus ihrer Sicht eine Kultur der Wertschätzung gelingen kann? Ihre Antwort: “Wir erfahren sehr viel Wertschätzung von unseren Kunden und deren Angehörigen. Das reicht von gespendetem Toilettenpapier, einem Paket Kaffee bis hin zu unglaublich schönen Zeilen die uns erreichen.”

Der kritische Punkt liegt nach ihrer Beobachtung in der öffentlichen Verwaltung: “Ich bin bestürzt und entsetzt über den Umgang der Behörden mit den Einrichtungen. Trotz fehlendem Material werden Verordnungen geschrieben die nicht erfüllbar sind.” Nicole Gatz berichtet, wie bei Kollegen mit COVID-Fällen die Hilflosigkeit und Ratlosigkeit sichtbar wird: “Oftmals in der schuldzuweisenden Kommunikation. Das ist weder zielführend noch hilfreich und belastet die Einrichtungen sehr. An dieser Stelle würden Wertschätzung und gegenseitiges Verstehen helfen.”

In den letzten Wochen wurde häufig auch über eine bessere Entlohnung der Pflegedienste diskutiert. Sonderzahlungen wurden versprochen. Doch ich persönlich habe Zweifel, ob die finanzielle Wertschätzung nach der Krise wirklich umgesetzt wird.

Anne Will
Screenshot: https://daserste.ndr.de/annewill

Neue Wertschätzung für Medien

Einen starken Wandel beobachte ich derzeit in der Medienlandschaft. Als langjähriger Fernsehjournalist fällt mir auf, dass die öffentlich-rechtlichen Medien seit der Corona-Krise mehr Wertschätzung erfahren. Offensichtlich haben viele Hörer und Zuschauer erkannt, dass sie verlässliche Informationen bei ARD und ZDF finden. “Die Zeit” schreibt in der aktuellen Ausgabe (Nr. 17) von “goldenen Wochen” mit Rekordquoten: “Wie seit dem 11. September nicht mehr wird das Fernsehen – und eben nicht die sozialen Netzwerke, die für Verwirrung und Falschinformationen stehen – gebraucht.”

Auch die regionalen Tageszeitungen erleben einen Aufwind. Ich telefoniere mit Dr. Uwe Röndigs, Chefredakteur der VRM Wetzlar, einer Zeitungsgruppe in Mittelhessen. Nach seiner Beobachtung wird in den neun Lokalausgaben “die Qualität der Zeitung als Anker empfunden.” In der Corona-Krise zeige sich eine bessere Verbindung zu den Lesern, die Zeitung sei “deutlich relevanter geworden”, so Röndigs.

Während auf der einen Seite die Anzeigenerlöse wegbrechen, gibt es eine steigende Zahl von Abonnenten – vor allem für die digitalen Ausgaben. Chefredakteur Röndigs berichtet, dass für jede Ausgabe der Zeitung “deutlich mehr Recherche notwendig ist, seitdem das öffentliche Leben zum Erliegen gekommen ist.” Gemeinsam mit seinen Kollegen freut er sich über ermutigende Leserbriefe, die eine sachliche Berichterstattung wertschätzen: “Wir brauchen verlässliche Infos”, so die Meinung von Lesern.

Es scheint, dass die Medien in der Krise einen “so dringend benötigten neuen Ton finden”, wie “Die Zeit” bemerkt. Streit und Konfrontation sind momentan nicht gefragt. Und Anne Will, Deutschlands bekannteste Talkmasterin bekennt: “Ich bin verunsichert. Das ist das, was die Krise ausmacht: Wir alle fühlen uns verletzlich.”

Kultur der Wertschätzung
Kurt Höller (3. von links) mit Kollegen der Gastronomie (Foto: gastronaut.club)

Welche Wertschätzung schenken wir der Gastronomie?

Ein dritter Bereich, in dem eine neue Kultur der Wertschätzung notwendig ist, sehe ich in der Gastronomie. Der Hotel und Gaststättenverband DEHOGA befürchtet, dass durch die Krise ein Drittel der Betriebe für immer schließen müssen. Schon seit Jahren beklagen sich alle Beteiligten über die anhalten Spannungen. Vielen Wirten fehlen die Fachkräfte. Die Mitarbeiter klagen über ihre Arbeitszeiten und die schlechte Bezahlung. Die Gäste jammern über zu hohe Kosten.

Immer wieder diskutiere ich mit Fachleuten in der Gastronomie. Es fehlt an Wertschätzung der ganzen Branche. Das bestätigt auch Kurt Höller, der über viele Jahre in Bayern ein erfolgreiches Burger-Restaurantkonzept betrieben hat. Zum Jahresende 2019 entschied er sich, den Betrieb aufzugeben – gerade noch rechtzeitig vor der Corona-Krise. Jetzt hat er als Botschafter der Branche seinen Gastronaut-Club gegründet. Seine langjährigen Kollegen motiviert er für ein “neues Zeitalter der Wertschätzung”.

Kurt Höller betont: “Wenn Gastronomen mit ihrer eigenen Botschaft klar sind, können sie Wertschätzung richtig leben. Jetzt ist der beste Zeitpunkt, sobald die Gastronomie und Hotellerie wieder aufsperrt zu den eigenen Mitarbeitern zu sagen: „Schön dass es Dich gibt“. Die Chefs sollten sich persönlich beim Team bedanken: “Danke, dass Du den Mut hast, nach der Krise weiter zu machen!”

Auch als Kunden können wir täglich entscheiden, ob eine neue Kultur der Wertschätzung gelingt: Beim Einkauf von Lebensmitteln haben wir die Wahl, wieviel uns eine gesunde Ernährung wert ist. Zudem kann jeder von uns durch den Kauf von Gutscheinen die Gastronomie auch in der Krise unterstützen, damit unsere vielfältige Restaurant-Kultur überlebt.

Neuer YouTube-Kanal

Zum Schluss möchte ich Sie noch auf meinen neuen YouTube-Kanal hinweisen: “Gestärkt durch die Krise”. In dieser Woche gebe ich vier konkrete Tipps, wie Sie Ihre Kreativität als Selbständiger und Unternehmer stärken können.

Falls Sie die kurzen Impulse interessieren, können Sie gerne meinen Kanal abonnieren.