Die Zahl der Leisen, der Introvertierten ist größer als weithin bekannt. Manche Studien sprechen davon, dass jeder Dritte, oder sogar jeder Zweite introvertiert ist. Im Deutschen Knigge-Rat berichtet die Kommunikations-Expertin Dr. Doris Märtin, dass auch im Schul- und Berufsalltag die Welt auf Extravertierte ausgerichtet ist, während sich die Introvertierten eher anpassen sollen.

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Keira Knightley, Foto: Simon James / Shutterstock.com

Merkel und Obama – introvertiert!

Doris Märtin zufolge nehmen extrovertierte Menschen ihre introvertierter Zeitgenossen häufig als farblos und unscheinbar oder aber kühl und elitär wahr. Gerade im Business werden Intros unterschätzt und ihre Bedürfnissen falsch verstanden.

Dabei ist die Liste der erfolgreichen Introvertierten lang: Angela Merkel und Barack Obama, Albert Einstein, Keira Knightley, Mark Zuckerberg. Ihr Beispiel zeigt: intro- wie auch extrovertierte Menschen können gleichermaßen erfolgreich sein, jedoch jeder auf seine Weise. Intelligenz und Eloquenz sind nicht davon abhängig, ob jemand eher die leisen oder eher die lauten Töne bevorzugt. Der entscheidende Unterschied liegt anderswo: in der Art, wie Menschen ihre Kräfte auftanken.

Woher kommt die Energie?

Extrovertierte beziehen ihre Energie aus dem Dialog mit anderen. Sie lieben lange Meetings und volle Openair-Konzerte. Introvertierte gewinnen ihre Energie dagegen aus dem Rückzug in die Stille. Sie arbeiten gern konzeptuell, profitieren vom Klavierspiel, der Arbeit im Garten und den Begegnungen mit wenigen Menschen, die Tiefgang bieten.

Bei ihren Untersuchungen beobachtet Doris Märtin, dass die Extrovertierten im beruflichen Alltag pragmatischer und risikofreudiger agieren. Sie erscheinen lebhafter, arbeiten vernetzter, wirken dynamischer und geselliger. Die Introvertierten sind im Geschäftsleben dagegen substanzieller und risikobewusster. Häufig denken sie mehr Schritte voraus als Extros. Als Führungskräfte punkten sie durch ruhige Gelassenheit und holen aus Mitarbeitern, die mitdenken und sich einbringen, das Beste heraus.

Vier Typen der Introvertiertheit

Märtin.4.inddGenau wie Extraversion hat auch Introversion viele Gesichter. In ihrem neuen Buch „Leise gewinnt: So verschaffen sich Introvertierte Gehör“ hat Dr. Doris Märtin deshalb eine „introDNA“ mit vier verschiedenen introvertierten Persönlichkeitsstilen entwickelt. Führungspersönlichkeiten wie Angela Merkel nennt sie „Mastermind“: Sie sind kontaktsicher und stark rational gesteuert. Beruflich begegnet man ihnen oft als graue Eminenzen, die im Hintergrund die Fäden ziehen, privatkommen sie trotz ihres Hangs zum Einzelgängertum mit anderen Menschen routiniertzurecht.

Typ zwei sind die „Supersensiblen“, die wie die „Masterminds“ kontaktsicher auftreten, aber eher emotional gesteuert leben. Als Beispiel nennt Märtin Thomas Mann, der als Dichter großen Wert auf einen gleichen Tagesablauf legte und als Vater von sechs Kindern verlangte, „man solle im Haus nichts von ihnen hören“. Bei „Supersensiblen“ ist aufgrund ihrer erhöhten Wahrnehmungsfähigkeit der Wunsch nach Rücksichtnahme, und nach Verfeinerung und Ästhetik besonders ausgeprägt.

Die Nerds sind meist hochintelligent

Typ drei: Der „Nerd“: Er wirkt oft ungeschickt im Umgang mit Menschen und ist gleichzeitig stark rational gesteuert. Doris Märtin beschreibt ihn als hochintelligent und fachlich top. Menschen wie Bill Gates und Woody Allen denken oft „out of the box“. Ihre Umgangsformen sind dagegen informell und unverbindlich. Beruflich empfinden sie nur wenig Leidensdruck, doch bei ihrer Partnersuche kann es schwieriger werden.

IntroDNATyp vier: Die „Cocooner“. Prominente Beispiele sind Claudia Schiffer, Keira Knightley und – unerwarteterweise – Lady Gaga. Auch wenn man es ihnen nicht anmerkt, fühlen sie sich nach eigener Aussageim Kontakt mit Fremden eher unsicher und tun sich in großer Runde schwer. Gleichzeitig haben sie ein feines Gespür für Menschen. Am besten entfalten sie sich im Kokon vertrauter Beziehungen.

Geht Höflichkeit für Intros anders?

Doris Märtin beschreibt sehr anschaulich, welche Bedürfnisse introvertierte Mitarbeiter auch im beruflichen Alltag haben: Sie benötigen mehr Ruhe und Raum, um sich zwischendurch zurückziehen zu können. Rücksichtname und Gesichtswahrung sind besonders wichtig. Selbstdarstellung empfinden Intros mit ihrem natürlichen Hang zum Understatement als laut und unangebracht.

Ihre konkrete Empfehlung: Kritisieren Sie als Chef einen introvertierten Mitarbeiter nur unter vier Augen. Respektieren Sie das Bedürfnis nach Distanz und den Wunsch nach Privatheit. Geben Sie Zeit zum Nachdenken, vereinbaren Sie Telefontermine statt spontan zum Hörer zu greifen. Anerkennen Sie die Leistungen introvertierter Kollen und stehlen Sie ihnen auch nicht „die Show“. Schaffen Sie bei privaten Einladungen eine Atmosphäre der Vertrautheit.

Knigge für Extrovertierte

ma__rtin_dorisFür extravertierte Mitarbeiter sind die Anerkennung ihrer Leistung und die Abwechslung im Businessalltag besonders wichtig. Sie bevorzugen die Gemeinschaft und auch die berufliche Bühne.

Dr. Doris Märtin empfiehlt deshalb Intros, extravertierte Kollegen oder Mitarbeiter intensiv und auch vor Dritten zu loben, sie glänzen zu lassen und ihnen besonders viel Wertschätzung und Aufmerksamkeit zu geben.

Ihr Tipp: Planen Sie für Extrovertierte von Anfang an mehr Redezeit ein, und ermöglichen Sie bei beruflichen Einladungen auch überraschende Aktion. Wichtig: Bei Sitzordnung sollten Sie nicht Extrem-Intros neben Extrem-Extrovertierte setzen.

Ängste von Intros: Kann ich mitreden?

Kennen Sie das auch: Sie sind eingeladen, es ist Sonntagabend. Sie haben keine Lust das Haus zu verlassen, würden lieber ihre Lieblingsserie ansehen, statt mit Fremden Smalltalk zu üben?

Hier kann die Begrüßung des Gastgebers helfen, der bereits an der Tür dem Introvertierten seine Wertschätzung zeigt: „Ich freue mich sehr auf den persönlichen Austausch mit Ihnen. “ Auch im Laufe des Abends sollten Sie als Gastgeber immer wieder aktiv auf die introvertierten Gäste zugehen und sie in das Gespräch einbinden.

Im Deutschen Knigge Rat diskutieren wir über zwei Alltagsbeispiele: Es geht um den Besuch bei guten Freunden: Im Hintergrund läuft laute Musik – der Introvertierte Gast fühlt sich gestört, darf er was sagen?

Stelle Dich doch nicht so an!

Häufig meldet sich dann die innere Stimme: Stelle Dich doch nicht so an! Als Knigge-Rat sind wir zu dem Schluss gekommen: Haben Sie den Mut, ihre eigenen Grenzen zu setzen. Fragen Sie die Gastgeber ganz offen, ob es möglich wäre eine ruhigere Musik zu wählen. Laute haben oft keine Ahnung, wie sehr Lärm und Unruhe Leisen zusetzen können, vor allem den Supersensiblen unter ihnen.

Beispiel zwei: Sie sitzen in einem vollen Café an dem einzigen Tisch mit drei freien Plätzen. Neue Gäste sprechen Sie an: „Dürfen wir uns noch dazu setzen?“ Der Introvertierten machen Fremde am Tisch die Freude am Kaffehausbesuch zunichte, trotzdem sagt sie „Ja“ und fühlt sich in ihrem Bedürfnis nach Privatheit gestört. Doris Märtin macht Mut, auch hier zum inneren „Nein“ zu stehen und sich ganz bewusst für ungestörten Kaffeegenuss ohne den Smalltalk mit Fremden zu entscheiden.