In diesem Sommer wird sehr viel von Neustart gesprochen. Neustart für die Kultur, die Innenstädte, die Eventbranche. Das Wort klingt wie ein warmer Sommerregen, die alle Sinne belebt. Doch über das Wesentliche wird nur selten gesprochen: Über den Mut, der vielen dabei fehlt.

Neustart
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Noch genügend Energie zum Neustart?

Es klingt so einfach: Neustart – wie beim Auto, dessen Motor abgesoffen ist. Ja, ich weiß, dieses Bild kennen nur noch die Älteren. Moderne Autos starten immer. Wirklich? Mein Smart-Cabrio brauchte fast jeden Winter einmal die Hilfe des ADAC, weil die Batterie in der Kälte nicht mehr genügend Energie zum Starten hatte.

Ich finde dieses Bild passt sehr gut zum gesellschaftlichen Neustart. Nur dass die Rolle des ADAC derzeit die Regierung übernommen hat und mit ihrer Überbrückungshilfe den kleinen und mittelständischen Unternehmen beistehen will.

Doch was ist mit den emotionalen Krisen, den Existenzängsten, die viele Selbständige noch nicht bewältigt haben? Gestern habe ich mit Gianni gesprochen, der als Restaurantbesitzer über viele Monate durchhalten musste. Auch unter der Woche war sein Lokal jetzt relativ gut besucht.

Doch hinter vorgehaltener Hand berichtet er mir von den aktuellen Stornierungen. Eine Gruppe mit 30 Personen hat eine Stunde vor dem Abendessen abgesagt, die Hälfte hatte keinen Test. Gianni schaut mich müde an und zuckt mit den Schultern. Was soll ich tun, so schnell bekomme ich keine neuen Gäste!

Die Krisen der Lebensmitte

Auch Ilona und ich mussten während der Pandemie mehrfach neu starten. Die monatelange Schließung, das ständige Auf und Ab hat auch bei uns etliche Spuren hinterlassen. Dazu der Verlust von acht Mitarbeitern. Wir beide merken, dass wir durch die ehrliche Kommunikation in der Krise auch sehr viel Glaubwürdigkeit bei unseren Kunden gewonnen haben.

Gerade in der Mitte des Lebens werden viele Menschen mit unterschiedlichen Krisen konfrontiert: Der Tod der Eltern, der Verlust des Partners, Scheidung, Krebsdiagnosen. Dabei tritt ein Thema gehäuft auf: Die Frage nach dem Sinn.

Welchen Sinn haben meine Beziehungen? Welchen Sinn mein Leben? Bei vielen Menschen geht gerade in der Lebensmitte die Perspektive, das Ziel ihres Lebens verloren. Sinn-Karrieristen nennt eine Studie des Zukunftsinstituts diese Gruppe. Menschen, die eine erfolgreiche Karriere hinter sich haben und plötzlich durch eine Krise den Sinn vermissen.

In unserer Biografie-Arbeit, dem Goldzirkel treffen wir diese Menschen und versuchen ihnen im persönlichen Coaching wieder einen Lebens-Sinn, eine neue Perspektive für nächste Lebensphase zu vermitteln. Schmerzlich wird etlichen bewusst, dass sie die wesentlichen Jahre mit einem geliebten Menschen, mit ihren Kindern verpasst haben.

Die Angst das eigene Leben zu verpassen

Dabei spielt die Angst, nicht richtig gelebt zu haben, eine zentrale Rolle. Jahre, die nicht zurück geholt werden können. Verpasste Chance, ungelebtes Leben. Nach meiner Beobachtung verstärkt die Pandemie diese Furcht. Wenn ich mein eigenes Erleben der letzten 18 Monate reflektiere, steigt in mir Frust und Trauer auf.

Gerade in den Meisterjahren des Lebens wichtige Chancen verpasst zu haben. Das geht mir auch als Filmemacher so. Etliche Projekte liegen seit Monaten auf Eis. Eine Filmproduktion, die ich bereits im August 2019 vorbereitet habe, wird nun mit 24 Monaten Verzögerung endlich in diesem Herbst realisiert.

Sie können sich vorstellen, wie sehr ich mich nach dieser langen Wartezeit auf diesen Neustart freue. Endlich wieder mit meinem Kamerateam unterwegs zu sein, Menschen zu interviewen, die Videodrohne steigen zu lassen, am Schnittplatz das fertige Werk zu begutachten. Das macht auch die Mitarbeiter in meinem Team wieder glücklich.

Sinnsuche und Neustart

Von Carl Gustav Jung stammt das Zitat, man können die zweite Lebenshälfte nicht nach dem Muster der ersten leben. Ich bin überzeugt, dass seine Erkenntnis vielen auch in der Pandemie bewusst geworden ist. Es gab und gibt keinen fertigen Plan, wie wir als Menschheit mit einer globalen Krise dieses Ausmaßes umgehen.

Gleichzeitig gibt es nur einen begrenzten Erfahrungsschatz, wie wir die zweite Halbzeit unseres Lebens gestalten. Sicher, wir hatten und haben Vorbilder: Unsere Eltern, Großeltern – Menschen, die uns vorangegangen sind. Doch die Art, wie sie ihre zweite Lebenshälfte gestaltet haben, lässt sich nur begrenzt auf unsere Zeit übertragen.

Jeder von uns muss seine eigenen Erfahrungen in diesem Neustart machen. Mir persönlich hilft der Dialog, der regelmäßige Austausch mit Freunden: Wie bewältigst du die aktuellen Herausforderungen? Was bewegt dich? Was treibt dich an? Ich glaube dieser kollektive Erfahrungsschatz und die eigene Neugier sind zwei wichtige Parameter, um den Neustart zu meistern

Zum Schluss möchte ich Sie noch auf die CO-FERENZ hinweisen, die mein langjähriger Freund Johannes Hüger am 30. September und 1. Oktober in Augsburg anbietet. Es geht um die Veränderungen, die in der Luft liegen. Und das nicht erst seit der Corona-Krise.

Alte Schablonen scheinen nicht mehr auf unsere Herausforderungen zu passen. Generationen-Clash, Wandel im Führungsverständnis, widersprüchliche Hierarchieempfinden, die große Sinnfrage: Umbrüche in vielen Bereichen eröffnen neue Möglichkeiten. Ausführliche Informationen finden Sie hier: https://www.coferenz.com/#coferenz