Die erste Debatte zwischen Donald Trump und Joe Biden hat bei vielen Zuschauern Fassungslosigkeit ausgelöst. Der Amtsinhaber und sein Herausforderer beschimpfen sich aufs Übelste. Wo bleiben Menschlichkeit und Respekt?

Respekt
Screenshot: SkyNews

Eine Debatte zum Fremdschämen

Ist das noch eine Debatte, wenn sich zwei Führungskräfte permanent ins Wort fallen? Trump unterbricht Biden so oft es geht und benimmt sich wie ein Rüpel, der pöbelt und sich prahlerisch selbst anpreist. “Hältst du jetzt die Klappe, Mann”, schießt Joe Biden zurück. Mit Respekt hat das wenig zu tun. Die Vorbildfunktion, die ein Staatsoberhaupt auszeichnete, ist hin.

Passend zur aktuellen Debatte liegt seit dem Wochenende das neue Buch des ZDF-Moderators Tim Niedernolte auf meinem Schreibtisch: “Respekt! Die Kraft, die alles verändert – auch mich selbst”. Der langjährige Fernsehjournalist analysiert, warum unsere Sprache zunehmend verroht und auch Konzerne den Respekt zu ihren Mitarbeitern vermissen lassen.

Doch fehlender Respekt ist nicht nur ein Führungskräfte Problem, sondern leider zunehmend auch im bürgerlichen Alltag zu beobachten. Während Uniform und Dienstkleidung früher automatisch für Respekt sorgten, ist dies heute nicht mehr selbstverständlich.

Fehlender Respekt im Alltag

Schonungslos dokumentiert Tim Niedernolte, was Notfall-Sanitäter und Brandmeister der Feuerwehr berichten. Statt von den Verletzten und den Passanten dankbar empfangen zu werden, werden sie zunehmend beschimpft und körperlich angegriffen. Die Helfer müssen spezielle Fortbildungskurse besuchen, um sich vor der steigenden Gewalt zu schützen.

Der fehlende Respekt – so Niedernolte – beginnt bereits beim Selbstverständnis einiger Bürger, bei Erkältung oder Durchfall den Notarzt zu rufen. Das Dilemma: Wenn die erkrankte Person auf einen Transport ins Krankenhaus besteht, dürfen die Retter dies laut Gesetzt nicht verweigern. Gleichzeitig fehlt mitunter die Kapazität für echte Notfälle.

“Warum ist das so schräg” fragt Tim Niedernolte bei seiner Recherche und stößt auf den Psychologie Professor Dieter Frey. Nach seiner Ansicht steckt dahinter ein Mix von Ursachen, wie der “gefühlte Kontrollverlust oder Verunsicherung durch Digitalisierung.”

Hinzu kommt eine “falsch verstandene Selbstverwirklichung: Verwirkliche dich selbst, setzte dich durch!” Niedernolte erzählt das Beispiel eines Anwohners, der bei einem Notarzt-Einsatz ausrastet, weil er dadurch zu spät zu seinem Yoga-Kurs kommt. Das klingt im Kleinen banal und doch scheint mir eine Verbindung zum Beispiel Trump zu bestehen. Vor allem dann wenn Narzissmus hinzukommt.

Aktiv Respekt fordern und fördern

Mir gefällt der Ansatz von Tim Niedernolte: “Wo Hass ist, da ist auch Liebe”. In seinem Buch fordert er zu Zivilcourage auf – auch in den sozialen Netzwerken: “Wir dürfen nicht nur schweigen und das virtuelle Feld den Hatern überlassen. Die eigene Stimme erheben und sichtbar machen, das ist ein durchaus wirkungsvolles Gegenmittel”.

Er ermutigt, aktiv dem gedankenlosen Verbreiten von Verleumdung, Fake News und Hasskommentaren täglich entgegenzutreten. Nicht weiterleiten, nicht teilen. Stattdessen wenn möglich direkt zu kommentieren und die eigene Sicht darzustellen. Eine weitere Option, die ich selbst nutze: Üble Verleumdung zu melden. Zudem blockiere ich selbst auch vermeintliche “Freunde”, die primär Propaganda und Fake verbreiten.

Sehr bewegt hat mich die Geschichte von Lina, die Tim Niedernolte für sein Buch getroffen hat. Sie ist Managerin und begleitet ein größeres IT-Projekt mit Kollegen aus verschiedenen Abteilungen. In einem Meeting wird sie gebeten, die Rohversion ihres Konzepts schon einmal vorzustellen. Doch Lina findet das Konzept noch nicht ausgereift und fühlt sich nicht glücklich dabei, eine Vorabversion zu zeigen. Schließlich lässt sie sich überreden.

Wie Respekt auch erkämpft werden muss

Zu Beginn der Präsentation weist sie ausdrücklich darauf hin, dass es sich um eine vorläufige Version handelt. Alle nicken. Doch nach der zweiten Folie ist ihre Präsentation bereits zu Ende. Sie hat keine Chance ihre komplexe Idee dahinter halbwegs verständlich zu erklären. Einzelne Aspekte werden zerpflückt, sie findet kein Gehör mehr, weil alle wild durcheinander diskutieren.

Schließlich sagt ein männlicher Kollegen: “Hast das jetzt verstanden, Lina? So einen Scheiß wollen wir hier nicht mehr!” Auch ihr Vorgesetzter fällt ihr in den Rücken “Da müssen wir wirklich noch ein bisschen dran arbeiten”. Im Gespräch mit Tim Niedernolte berichtet Lina, wie sie anschließend zu ihrem obersten Chef geht und mehr Respekt einfordert.

Sie legt eine offizielle Beschwerde ein. “Wenn das, was ich da erlebt habe, die Art und Weise ist, wie wir hier miteinander umgehen. Dann bin ich in diesem Unternehmen leider falsch.” Ihr Engagement trägt Früchte. Niedernolte berichtet: “Die Entscheider haben sich danach tatsächlich zusammengesetzt und eine Initiative entwickelt, wie sie als leitende Manager miteinander umgehen wollen. Linas direkter Vorgesetzter hat sich bei ihr entschuldigt.”

Zeit zu handeln

In seinem neuen Buch beleuchtet Tim Niedernolte auch die aktuelle Corona-Krise und analysiert die fehlende Wertschätzung für manche Berufe. “Bereits 20217 hat die Linksfraktion eine kleine Anfrage an die Bundesregierung gestellt. Dabei kam heraus, dass die Zahl der gemeldeten Arbeitsunfälle von Beschäftigten in Gesundheitsbereich und Pflegeberufen zwischen 2007 und 2017 drastisch um knapp 50 Prozent gestiegen sei.”

Während Corona gab es endlich den nötigen Aufschrei: “Der beschlossene Corona-Bonus von bis zu 1.500 Euro für die Pflegekräfte ist definitiv schon mal ein wertschätzendes Signal. Aber er ersetzt in keiner Weise das, was eigentlich notwendig wäre: eine dauerhafte Lohnerhöhung.”

Niedernolte zählt auch andere Berufsgruppen auf, die in der Krise einen “Heldenstatus” erlangt haben: “Die Supermarktmitarbeiterinnen, Lkw-Fahrer und die die Notbetreuerinnen in der Kita (ohne Anspruch auf Vollständigkeit).” Der ZDF Journalist bemerkt: “Ich bin überzeugt, unser Respekt im Umgang mit den systemrelevanten Berufen kann vieles verändern. Nicht nur kurz, sondern langfristig. Wir alle haben es in der Hand und stehen diesbezüglich auch in der Pflicht.”

Tim Niedernolte spricht am 18. November

Ich freue mich sehr, dass Tim Niedernolte am 18. November in den Gutshof kommt. Beim diesjährigen Epos-Tag für Selbständige und Führungskräfte spricht er über Respekt und Wertschätzung. Wenn Sie Zeit haben, sind Sie herzlich willkommen. Alle weiteren Informationen finden Sie hier.