Freitagabend in einer Buchhandlung in Limburg. Im Regal auf Augenhöhe entdecke ich den neuesten „Knigge“. Roter Hummer, dunkelblauer Umschlag – die klassische Aufmachung. Die Dame neben mir ist schneller und greift zu. Ich umrunde sie und komme mit dem Mann neben ihr ins Gespräch. Ein freundlicher Herr um die 50, ausgesprochen kommunikativ.

Mit wenigen Sätzen ergibt sich ein entspannter Dialog. Er war gerade zur Kur, fühlt sich noch etwas schlapp, aber die Zeit der Erholung hat ihm gut getan. Seine Frau blättert im Knigge, gibt sich desinteressiert. Der Redefluss ihres Mannes scheint ihr eher peinlich zu sein, doch die Ohren sind voll konzentriert auf Empfang gestellt. Wir plaudern über Umgangsformen, über Unsicherheiten:

Wer gibt in der Klinik zuerst die Hand? Chefarzt oder Patient? Jetzt schaltet sich die Partnerin ein: „Natürlich der Arzt, schließlich ist er der Ranghöhere.“ –
„Nein“, widerspricht ihr Mann, „ich bin doch der Kunde und der Kunde ist König!“  Ich gebe mich als Knigge-Trainer zu erkennen und unterstütze die These des Mannes. Mit einem freundlichen Gruß fürs Wochenende verabschieden wir uns.

Schmunzelnd verlasse ich die Buchhandlung. Die Begegnung hat meine Wochenend-Laune deutlich beflügelt. Offensichtlich haben die Medien die Zeitgeist-Strömung seismografisch richtig erfasst. „Umgangsformen sind im Kommen“. Dies ist sicherlich kein normaler Freitagabend in einer hessischen Kleinstadt, aber sicherlich ein weiterer Beleg: Knigge ist „in“.

Wir werden auch in der nächsten Sitzung des Deutschen Knigge Rats darüber diskutieren, welche Umgangsformen zeitgemäß sind und wie wir unsere Werte im Alltag leben. Unser Jahresthema 2012 “Leben mit Handicap” bietet genügend Fragen dazu.