Dass jeder Mensch ein Original ist, liegt nicht nur an seinem Fingerabdruck, den es so nur ein einziges Mal auf der Welt gibt. Auch die Art, zu denken, zu fühlen macht einen Menschen einzigartig.

Sich selbst auf die Spur kommen

Meine Wahrnehmung ist, dass sich nur wenige Menschen mit ihrer Identität beschäftigen und sich Gedanken um ihr Lebensthema machen. „Wir werden als Originale geboren und sterben als Kopie“, scheint dagegen eher das Motto zu sein – das sagte Ernst Niebergall einmal, ein deutscher Schriftsteller.

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Viele Menschen kopieren gerne den Lifestyle von anderen und bilden keinen eigenen aus. Vielleicht ist es auch ein typisch deutsches Phänomen? Vielleicht lieben wir es, angepasst zu leben? Die Orientierung an Trends und Idolen manifestiert sich in Einrichtungen, die aussehen, als hätten sie Modell für eine Möbelkatalogaufnahme gestanden, in uniformen Haarschnitten, in einheitlicher Kleidung – besonders in einheitlicher Kleidung!

Mut zur eigenen Originalität zu stehen

Bei einem Abendseminar, das ich in Frankfurt gab, erschien eine Mitarbeiterin der Deutschen Bank in einem klassischen Business-Kostüm – es war allerdings nicht grau oder blau, sondern knallrot! In der Pause kam ich mit dieser Mitarbeiterin ins Gespräch und ich fragte sie, ob sie denn mit diesem signalroten Outfit nicht anecke, gerade in einer Bank, wo doch gedeckte Farben zur Einheitskluft gehören und auch verlangt werden.

Sie lachte: „Natürlich ecke ich damit an. Aber ich mache das ganz bewusst! Denn Rot ist einfach meine Farbe, das steht mir am besten. In Grau sehe ich auch aus wie eine graue Maus, und das bin ich nun mal nicht.“ Diese Haltung fand ich sehr bewundernswert – und sie gab dieser Frau eine einzigartige Ausstrahlung. Sie hatte sich als Original begriffen, als Unikat.

Meine Geschichten: Was habe ich erlebt?

Schlüsselelemente der eigenen Identität sind die Geschichten, die wir erlebt haben und die wir weitererzählen. Unsere Kultur basiert auf Geschichten – aber nicht nur deswegen lieben wir sie. Geschichten sind lebendiger und anschaulicher als nüchterne Fakten, sie unterhalten und entspannen die Zuhörer, wirken im Unterbewusstsein weiter und verankern Erkenntnisse tief.

Geschichten vermitteln Lebenserfahrung, erweitern unser Repertoire an Verhaltensmustern, vermitteln Normen und Werte, motivieren uns und machen uns glücklich. Und das ist nicht nur mit irgendwelchen Märchen so, sondern gerade mit den Geschichten, die wir selbst erleben: Geschichten von Siegen, von Verlusten, von Krisen und Heldentaten, die wir in großer und kleiner Runde immer wieder gern erzählen.

Was sind die Geschichten Ihres Lebens?

Diese Geschichten sind ein zentrales Element unserer Identität – schreiben Sie sie auf! Legen Sie sich eine schöne Kladde zu und notieren Sie darin die wichtigsten Geschichten Ihres Lebens. Das Ergebnis muss ganz und gar nicht druckfertig sein – gehen Sie einfach mit Ihrem Herzen daran und schreiben Sie die Geschichten Ihres Lebens, von Hand, mit Fehlern, ganz egal. Es ist nur für Sie selbst. Ich verspreche Ihnen, Sie werden Erstaunliches entdecken: einen roten Faden, der sich durch die Geschichten durchzieht, Talente, die Sie haben, ein Erbe, das Sie übernommen haben und nun leben.

Zum 90. Geburtstag habe ich etwas Ähnliches mit meinem Vater gemacht: Ich habe seine Geschichten aufgenommen – und ihn, wie er diese Geschichten erzählt –, und zwar mit einer Videokamera. Es hat zwei Tage der Vorbereitung bedurft, bis er sich mit dieser Idee anfreunden konnte, mir die Geschichten seines Lebens noch einmal zu erzählen und dabei aufgenommen zu werden. Aber dann sprach er stundenlang am Stück, während die Kamera lief.

Es war eine rundum beglückende Erfahrung. Ich habe sehr viel über meinen Vater gelernt an diesem Tag. Und über mich selbst – denn in den Geschichten meines Vaters fand ich mich natürlich wieder mit all meinen Wurzeln, die meine Identität auch ausmachen.

Entdecken Sie Ihr Lebensthema

Martin Stadtfeld - Copyright © 2016 Sony Music Entertainment Germany GmbH.

Martin Stadtfeld – © 2016 Sony Music Entertainment Germany GmbH.

Wer die Musik Johann Sebastian Bachs liebt, kennt sicherlich den jungen Pianisten Martin Stadtfeld. Er machte 2003 mit seiner Debüt-CD „Goldberg-Variationen“ von Johann Sebastian Bach von sich reden. Für mich war diese CD ein stimmiger erster Höhepunkt in der Karriere eines Menschen, der schon früh sein Lebensthema gefunden hat: Martin Stadtfelds Mutter hatte einige Jahre bei uns als Sekretärin gearbeitet und so konnte ich Martins künstlerische Entwicklung mit verfolgen – dass das Klavier und Bach sein großes Thema sind, wusste er schon in seiner frühesten Jugend. Er übte stundenlang, und das täglich und freiwillig. Seine Mutter unterstützte und förderte ihn, wo sie nur konnte. Heute zählt er zu den führenden Bach-Interpreten und spielt bei den Salzburger Festspielen und renommierten Musik-Festivals.

Was ist Ihr Lebensthema?

Nutzen Sie die Sommerzeit, um den Geschichten Ihres Lebens auf die Spur zu kommen und Ihre Einzigartigkeit auf den Punkt zu bringen.