Wir stecken in der Dekade des Umbruchs, daran gibt es keine Zweifel. Doch erwarten uns erneut “Goldene Zwanziger”, wie manche Nostalgiker hoffen? In diesem Beitrag stelle ich Ihnen meine fünf Thesen zu den gesellschaftlichen Trends 2020 vor.

Trends 2020: shutterstock

Wir brauchen eine neue Glaubwürdigkeit

“Versprechen werden gegeben und Versprechen werden gebrochen”, sagt mir lapidar eine langjährige Führungskraft und zuckt mit den Schultern. Auch “Die Welt” greift das Thema auf und titelt: “Glaubwürdigkeit? Es gilt das gebrochene Wort”. Dabei bezieht sie sich auf die “Abgas-Mogelei bedeutender Automobilkonzerne”. Die Bürger sind ratlos, wem noch zu trauen ist.

Mich erinnert dies an die Jahrhundertealte Empfehlung “Euer Ja sei ein Ja, und euer Nein sei ein Nein.” Nach meiner Einschätzung brauchen wir in diesem Jahrzehnt eine neue Glaubwürdigkeit, die bei jedem einzelnen Menschen beginnt. Während “Fake News” in der Politik und den sozialen Netzwerken alltägliche Realität geworden ist, sind berechenbare Persönlichkeiten gefragt, auf deren Wort Verlass ist.

Das Zauberwort heißt “Integrität”: Die eigenen Zusagen zu halten und nicht lapidar mit den Schultern zu zucken. Dazu gehört auch, nicht Wasser zu predigen und heimlich Wein zu trinken. Vertrauen ist ein wertvolles Gut, das auch von jedem Selbständigen und Unternehmer mühsam aufgebaut wird. 2020 bietet die Chance dies auch durch das tägliche Einhalten von Versprechen zu bewahren.

Digitaler Tourismus statt Massen

Bereits vor 147 Jahren verfasste Theodor Fontane eine Denkschrift zum Massentourismus – lange bevor die “Fridays for Future” den sogenannten “Overtourism” anprangerten. “Alle Welt reist. Wo waren Sie in diesem Sommer, heißt es von Oktober bis Weihnachten, wohin wenden Sie sich im nächsten Sommer wenden, heißt es von Weihnachten bis Ostern.”

Fontane beobachtete 1873, dass “viele Menschen die elf Monate des Jahres nur als eine Vorbereitung auf den zwölften betrachten. Nur als die Leiter, die auf die Höhe des Daseins führt. Doch findet der Mensch das erhoffte Glück wirklich nur auf Reisen?

Dazu wurde letzte Woche eine aktuelle Statistik veröffentlicht: Von den 23.120 Befragten bekannten fast 55 Prozent, dass ein Sonnenurlaub – am liebsten mit der Familie ihr Glück ausmacht. Meine These für das neue Jahrzehnt: Die Zahl der Deutschland-Urlauber wird weiter zunehmen. Baden an Nord und Ostsee, oder den heimischen Gewässern an Gunst gewinnen. Das schont die Umwelt und auch die Familienkasse.

Statt einer Fernreise können Sie Ihren Kindern die Patenschaft für einen Bären oder einen Luchs schenken. Damit lernen sie spielerisch Ökologie. Die neuen VR-Brillen ermöglichen auch zuhause neue Abenteuer: Zum Beispiel ein Wochenende in Camelot mit König Artus.

Entnetzung und die Sehnsucht nach Stille

Heute morgen habe ich “Alexa” noch im Dunkeln nach der Uhrzeit gefragt: Überrascht wurde ich von ihrer Antwort: “Ich wünsche dir einen guten Tag, lass ihn dir nicht vom schlechten Wetter verdrießen.” Zu diesem Zeitpunkt wusste ich noch nicht, dass es draußen regnet. Ich bin überzeugt, dass intelligente Sprachdienste noch mehr in unseren Alltag einziehen und Routineaufgaben übernehmen werden.

Gleichzeitig beobachte ich eine zunehmende Sehnsucht nach Stille, nach medienfreien Räumen, in denen die Seele zur Ruhe kommen kann. “Entnetzung” heißt der neue Fachbegriff. Der Tübinger Medienwissenschaftler Guido Zustiege hat dazu ein neues Buch veröffentlicht und beschäftigt sich mit den Menschen in einer hypermedialisierten Umgebung.

“Wie kann man sich das Netz, wenn es zu unangenehm kratzig geworden ist, wieder abschaben?” fragt auch der Journalist Peter Praschl und trifft damit den springenden Punkt. Wir brauchen in den Zwanziger Jahren bewusste “Offline-Pausen” am Wochenende, am Feierabend und im Bett. Familien und Firmen müssen miteinander aushandeln, dass beim Essen oder bei Meetings nicht alle ständig auf ihr Handy starren. Es braucht aktives “Nachrichten-Fasten” – nicht nur in den Tagen vor Ostern.

Schluss mit Online-Dating

“Ich habe mich neu verliebt”, erzählt mir ganz glücklich ein langjähriger Freund. Sein Glück hat der IT-Experte nicht online, sondern im echten Leben gefunden. Nach dem Boom von Parship und Co. prognostizieren auch manche Medien einen Retro-Trend hin zum echten Leben.

Die Münchner Historikerin Anne Dreesbach hat sich mit 44 Jahren auf die Suche nach einem neuen Partner gemacht. Doch dann bemerke sie an sich selbst und anderen, wieviel Frust das Online-Dating verursacht. Aus ihren eigenen Erfahrungen und den Gesprächen mit anderen Singles schrieb sie ein neues Buch “Liebe lieber analog. 99 Offline-Dating-Ideen.”

Statt sich wie 80 Prozent ihrer Freunde Tag und Nacht durch zahlreiche Profile zu klicken, empfiehlt Anne Dreesbach mit Achtsamkeit im analogen Leben zu suchen. Sie selbst hat ihren neuen Partner in einem Buchladen kennengelernt, mein Freund bei einem Seminar. Noch verrückter: Eine Dame hat sich durch einen Verkehrsunfall neu verliebt.

Anne Dreesbach berichtet, dass die Mehrheit der Befragten zugibt, “dass sie ihren jetzigen Partner bei Tinder einfach weggwischt hätten.” Ihr Credo lautet: “Im echten Leben lässt man sich auch auf jemand ein, der vielleicht nicht hundertprozentig von der Optik her gefällt.” Die Autorin empfiehlt Singles, nicht ständig aufs Handy zu schauen, weil etliche dadurch die Chancen im echten Leben verpassen. Die besten Dating-Orte in der analogen Welt seien Sprachkurse, Seminare und Vereine.

Trends 2020: Downsizing auf dem Land

Da in den Städten die Mieten und Kaufpreise ständig steigen, wird “Downsizing” zum neuen Megatrend in diesem Jahrzehnt. Wer sich ein riesiges Haus nicht mehr leisten kann oder will, schaltet einen Gang zurück. Kleine Häuser, die sogenannten “Tiny Houses” kosten weniger in der Anschaffung und erhöhen mitunter auch das Lebensglück. Weniger ist mehr. Marie Kondo, die japanische Aufräum-Expertin ist mit ihrer Botschaft bei vielen Menschen angekommen.

Hinzu kommen die Eltern, die sich nach dem Auszug der Kinder von dem großen Familienhaus trennen. Das “Empty Nest” – so die Trends 2020 – löst bei verlassenen Elternpaaren mehr Last als Freude aus. Etliche ziehen von der teuren Stadt aufs günstigere Land. Oder vom Land in ein städtischen Penthouse. Dabei wird der überflüssige Ballast abgeworfen. Downsizing der anderen Art gibt es auch für Studenten und Berufseinsteiger. In die hippen Micro-Apartments kann man mit dem Koffer einziehen, Möbel sind vorhanden und genauso schnell auch wieder ausziehen.

Wer Kohle hat, bucht sich noch bequemer ein “Serviced Apartment” – wie im Hotel wird die Wäsche gewaschen und das Zimmer geputzt. Dazu noch Carsharing und Fitnessstudio im Haus, schlanker geht es nicht. Zum Co-Working passt auch das Co-Living. Früher nannte man das Wohngemeinschaft. Doch bei den digitalen Normaden geht es nicht nur ums Kosten sparen, sondern auch um den kreativen Austausch: Gemeinsam Ideen entwickeln, ein Start-up gründen und chillen.

Für meine Frau und mich steht im neuen Jahrzehnt der 60. Geburtstag an. Downsizing ist auch für uns beide ein aktuelles Gesprächsthema. Wir haben genügend Ideen und Energie für die neuen Zwanziger Jahre. Doch in dieser Zeit wollen wir auch unsere Nachfolger finden, die dann, wenn wir uns ab 70 in ein kleineres Holzhaus zurückziehen, die Gutshof Akademie leiten.

Ein gesegnetes neues Jahr

Mit diesem Blogbeitrag starte ich eine neue Serie für Selbständige und Unternehmer im Mittelstand. Ich möchte Sie auch 2020 mit innovativen Themen inspirieren und freue mich auf den Dialog mit Ihnen.

Herzliche Grüße zum Jahresbeginn, Ihr Rainer Wälde