Ich liebe Dialekt. Die akustische Landkarte wenn ich durch Deutschland, Österreich und die Schweiz reise. In der Bahn, im Fitnessstudio, im Café spitze ich die Ohren, wen ich Dialekt höre und versuche die Stimmen zu verorten. Dialekt ist für mich Heimat – und doch spreche ich im Alltag meist Hochdeutsch.

Dialekt
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Muttersprache als wichtiger Teil meiner Identität

Gestern habe ich für ein neues Businessmagazin einen Oberbürgermeister in Baden-Württemberg interviewt. Der Politiker sprach so ein breites Schwäbisch, dass ich selbst als Exil-Schwabe große Mühe hatte, ihn zu verstehen. Nach dem Interview musste ich die Aufzeichnung mehrfach abhören, um die richtigen Worte zu finden.

Später bot mir meine Frau an, als Dolmetscherin zu fungieren. Der Oberbürgermeister wurde in der Nähe ihres Heimatortes geboren. Was für eine kuriose Situation, die uns beide zum Schmunzeln brachte. Doch irgendwie fand ich den Politiker auch cool, er mühte sich gar verständlicher zu reden. Sprach wie “ihm der Schnabel gewachsen war”.

Nun soll es in meinem heutigen Artikel nicht um Pro und Contra von Dialekt gehen, sondern um die Frage der Identität. Wer bin ich, wenn ein wichtiger Teil meiner Identität verblasst: Meine Muttersprache.

Mikrophon-Verbot beim Radio

Immer dann, wenn ich Menschen aus Baden-Württemberg treffe, hüpft mein Herz besonders. Ziemlich schnell fange ich an Badisch oder auch Schwäbisch zu sprechen. Das liegt an meiner zweisprachigen Jugendzeit in Freiburg: In der Schule und auf der Straße Alemannisch, im Elternhaus diktierten zwei Schwaben die Tonlage.

Das hat meine beiden Heimatdialekte wie ein Lichtschalter aktiviert. In beiden Welten – draußen und drinnen – war ich sprachlicher Insider. Im Studium kamen weitere Sprachräume hinzu: Ich lernte die Nuancen des Kurpfälzischen zwischen Heidelberg, Mannheim und Sinsheim zu unterscheiden.

Erst nach dem Studium kam es zu einem Bruch: In meinem Volontariat beim Radio hatte ich ein Jahr Mikrophon-Verbot. Mein Chefredakteur aus Lüdenscheid liebte meine Texte, aber nicht den O-Ton Süd. Meine Sendungstexte mussten Kollegen vorlesen. Währendessen bekam ich wöchentlich Sprachunterricht bei einem Schweizer Schauspieler.

Dieses Jahr Mikrophon-Verbot hat meine hochdeutsche Sprecherstimme trainiert. Gleichzeitig wurde mein Heimat-Dialekt mit dem Stempel “Minderwertig” belegt. Ich glaube, der Frust sitzt heute noch in meinen Knochen.

Mein Dialekt war für mich lange Vertrautheit & Wurzel

Zufällig bin ich auf einen Engländer gestoßen, der sich mit bayerischem Dialekt befasst. Antony Rowley versucht ein Kulturgut zu bewahren, das verloren zu gehen droht. Laut “Zeit” gilt er als der wichtigste Dialektforscher Bayerns. “Sprache ist wie ein Spiegel, in dem die ganze Kultur des Volkes abgebildet ist”, erklärt Rowley, “Und Sprachverlust ist immer auch Kulturverlust.”

Dann berichtet er, das “Servus” aus dem militärischen Befehlssprache stammt. Dort wurde Latein genutzt und bedeutet “Ihr Diener”. Doch Anthony Rowley ist Pragmatiker: “Sprache muss sich immer wieder verändern, sonst ist ist sie tot.” Deshalb glaubt er, dass Dialekte nie ganz verschwinden werden.

Doch wenn ich ehrlich bin, verwende ich meinen eigenen Dialekt im Alltag kaum noch. Selbst meine Frau und ich sprechen zuhause Hochdeutsch. Wenn ich manchmal Schwäbisch oder Badisch rede, ist es meist häusliche Komik – aber kein Alltagsgut. Gleichzeitig vermisse ich die Wurzel meiner Identität. Mein Dialekt war lange auch meine Vertrautheit.

Wie wichtig ist Dialekt für berufliche Identität?

Nun komme ich zu einem spannenden Punkt: Hindert Dialekt heute noch den Aufstieg? Ist er im Vertrieb hinderlich oder baut er regionale Identität? Hier würde mich Ihre persönliche Erfahrung interessieren.

Wenn ich an den schwäbischen Oberbürgermeister denke, bin ich sicher, dass er damit bei den Wählern punktet. Auch innerhalb von Firmen kann Dialekt ein verbindender Identitätsfaktor sein. Im Vertrieb freue ich mich, wenn ich am anderen Leitung einen Hamburger oder einen Kölner höre. Der Zungenschlag löst Kopfkino aus, erinnert mich an Menschen und Orte.

Bei der Autorin Hanna Scheld habe ich einen sehr interessanten Gedanken gelesen: “Vielleicht ist Heimat genauso flüchtig wie Dialekt. (…) Letztendlich ist sie ein Gefühl der Vertrautheit, das Menschen auslösen, oder ein Geschmack, ein Geruch, eine Landschaft, ein Wohnzimmer. Ein Buch, ein Lied, eine Gedankenwelt – und vor allem Sprache.”

Mut, wieder mehr Dialekt zu sprechen

Ich persönlich habe mich entschieden, wieder mehr Dialekt zu sprechen. Freue mich über die vielfältigen Worte für Ackersalat, Sonnenwirbele, Nüsschen-Salat, Feldsalat. Und bin überrascht, wenn in Usedom auf der Speisekarte “Ackersalat” steht und Rucola serviert wird.

Manchmal höre ich Mundart-Hörspiele, mag Wienerisch, schmunzle über Schweizer Spielfilme, wenn sie im Originalton sind und nicht hochdeutsch synchronisiert. Nur in meinen Romanen da bin ich vorsichtiger geworden. Habe selbst die kurzen Dialekt-Passagen reduziert, weil sich Leser beschwert haben, dies sei nervig oder schwer zu lesen. Nur bei meiner Berliner Hauptfigur bleibt es beim charakteristischen “Ick”.

Ansonsten freue ich mich über jedes Form von sprachlichem Lokalkolorit. So wie in den kanadischen Rocky Mountains vor einigen Jahren. Beim Frühstück in der Wildnis saßen am Nachbartisch zwei Deutsche. Ich spitzte die Ohren und sagte nach wenigen Sätzen zu meiner Frau: “Ich glaube da sitzen Urlauber aus deiner Heimat. Die sprechen ähnlich wie du.”

Meine Frau drehte sich um und sprach die beiden im Dialekt an. Erstauntes Grinsen, dann ein “Ilona, bist du es?” Die beiden kannten sich aus dem Dorf und freuten sich riesig über ein Wiedersehen am “Lake Louise.”