Um glücklich zu sein braucht es nicht viel – sondern nur das Richtige: Ein persönlicher Brief, alte Schallplatten oder eine Schale mit selbst aufgelesenen Nüssen. Einfache Dinge bieten mitunter die größten Wunder, die uns auch im neuen Jahr inspirieren.

einfache dinge
Fotos: Stefan Weigand

Die Natur kennt keine Nebensächlichkeiten

“Wunder warten überall” lautet der Titel eines neuen Buches, das mich zum Jahresbeginn 2021 begleitet. Bereits beim Blick auf das Cover wusste ich: Das ist mein Thema. Gerade jetzt im verlängerten Lockdown braucht es eine Wiederentdeckung der einfachen Dinge.

Der Autor Stefan Weigand hat ein Kleinod geschaffen – mit inspirierenden Texten und Bildern aus seinem Alltag. Das Buch startet mit einem Zitat der Pulitzer-Preisträgerin Annie Dillard: “So wie du deine Tage verbringst, so verbringst du dein Leben.” Ich empfinde diesen Satz als starke Provokation in Pandemie-Zeiten. Worauf schaue ich? Was bestimmt mein Denken?

In den letzten Monaten habe ich selbst gespürt, wie lähmend die Angst vor der Krankheit, die Existenz-Angst sein kann. Doch es liegt an meinem Fokus, ob ich mich darauf konzentriere und lähmen lasse. Das ist für mich eine tägliche Entscheidung.

“Das braucht jetzt seine Zeit. Es geht nicht anders”, schreibt Stefan Weigand: “Erst, wenn eine Mitte da ist, kann ich weitermachen.” Als Philosoph lädt er ein, die kleinen Dinge des Alltags wieder zur Hauptsache zu machen. Sein Credo: “Wenn schon eine Feder ein eigenes Wunderwerk ist, was ist dann erst der Rest der Welt?”

Wir sind viel zu wenig langsam

Durch das Buch haben für mich kleine Utensilien wieder an Bedeutung gewonnen. Ein kunstvoll gearbeiteter Kugelschreiber aus Holz, ein kleines Lederetui und meine Schreibtischplatte aus Kirschbaumholz. Gerade die Haptik von Holz, Filz, Leder gibt den alltäglichen Gegenständen eine Geschichte und sie entschleunigen mich.

“Ich bin davon überzeugt, dass wir heute viel zu wenig langsam sind”, schreibt Robert Walser bereits vor 100 Jahren in seiner Erzählung “Der Spaziergang”. Zugegeben das ist ein kurioser Gedanke in Zeiten von Glasfasernetz und Online-Shopping. Mir ist bewusst, wie ungeduldig ich selbst bin, wenn ich auf etwas “dringend” warte.

Als Symbol der Entschleunigung empfiehlt Weigand das Fensterbrett. Da stehen einfache Dinge, mitunter schon lange herum, manchmal auch nur im Weg, wenn man schnell lüften will. Doch diese Gegenstände auf dem Fensterbrett mahnen zur Langsamkeit, sonst fallen die Accessoires schnell zu Boden. “Denke doch immer wieder mal an das, was du gerade erlebt hast, was hier passiert. Und nicht immer gleich an das Nächste.”

Kennen Sie Feierabend-Ziegel?

Stefan Weigand findet auf dem Dachboden einen Stapel mit alten Ziegeln. Einige sind kunstvoll verziert, darauf eine Jahreszahl: 1726. Er wundert sich über diese kleinen Kunstwerke und fragt sich: “Weshalb machte man sich damals die Mühe, die Ziegel so zu verzieren?”

Ein Nachbar ist Dachdecker und kennt die Antwort: “Das sind Feierabend-Ziegel. Wenn früher in einer Ziegelei das Tagwerk geschafft war, nahmen man sich noch einen Moment Zeit und gestaltete ein paar besondere Werkstücke. So sorgte man dafür, dass sich Jahrhunderte später Menschen darüber wundern und freuen. Und man feierte auch das, was man geschafft hatte. Feierabend eben.”

In Zeiten von Lockdown und monatelangem Homeoffice finde ich das eine wunderschöne Anregung, weil Arbeit und Privatleben immer mehr miteinander verschmelzen. Die Feierabend-Ziegeln erinnern mich jetzt daran: Mach dir bewusst, du hast heute wieder was geschafft! Ein Projekt ist abgeschlossen oder ein Problem gelöst. Ich brauche keine Ziegel zu gestalten, aber es lohnt sich kurz innezuhalten und den Feierabend zu feiern.

Ich wünsche Ihnen 2021 einen neuen Blick für einfache Dinge und ein kreatives und gesegnetes Jahr.

Ihr Rainer Wälde