Vor mir steht eine Zigarrenkiste aus Sperrholz. Darin das Vermächtnis meines Vaters. Ein Reisepass meiner Mutter, alte Agfa-Fotos und ein grauer Führerschein. Gefunden habe ich diesen Schatz im Nachttisch – beim Aufräumen nach seinem Tod . Eine hochemotionale Sammlung von Lebensmomenten. Was bleibt von meinem Leben, wenn ich eines Tages nicht mehr bin?

Eine Zellophanhülle mit blonder Locke

Für meinen Vater, Jahrgang 1923 waren diese Schwarzweiß-Fotos der große Schatz, den er über Jahrzehnte gehütet hat. Bilder seiner Jugend, erste Liebe, Nachkriegsjahre. Außerdem eine Zellophanhülle mit blonder Locke und ein paar Babyschuhe. Ganz offensichtlich war die Geburt meines Bruders und mir für ihn zwei sehr wichtige Schlüsselerlebnisse.

Während ich die Zigarrenkiste ausräume und die biografischen Schätze betrachte, überlege ich mir, was von meinem Leben übrig bleiben wird? Sicherlich mehrere Terrabyte mit digitalen Portraitfotos, 30 Buchtitel im Antiquariat, zweihundert Videos in Streamingportalen.

Doch welchen Wert haben diese Datenmengen? Ich halte sie ehrlich gesagt, für andere Menschen wenig relevant. Mein erstes Zwischenresüme: Ob von einem Leben eine Zigarrenkiste oder eine Festplatte übrig bleibt ist, ist irrelevant.

Die Tom-Sawyer-Insel in Disneyland

Bei Bob Goff, einem meiner Lieblingsautoren. habe ich kürzlich einen sehr schönen Satz gefunden: Er bittet seine Familie darum, dass er auf der Tom-Sawyer-Insel in Disneyland seine letzte Ruhe findet: Packt meine Asche in einen Trinkbecher und findet einen Weg mich dort hinzubringen.

Ich habe in den letzten Tagen immer wieder über diesen Satz nachgedacht, weil er eine wunderbare Spur öffnet. Tom Sawyer steht für ihn als Synonym für Abenteuer, das man am besten schon zu Lebzeiten eingeht.

Die Tom Sawyer Insel wurde 1956 in Kalifornien eröffnet. Bob wohnt in der Nähe und fährt gerne mit einer Fähre dorthin. Auf der Insel gibt es keine Attraktionen, sondern vor allem Ruhe zum kreativen Nachdenken. Das ist es, was Bob Goff auch heute schon so anziehend findet.

Schlüsselfrage: Was erfüllt mich?

Auch auf unserem Gutshof gibt es eine Tom Sawyer Insel. Manchmal gehe ich ans Ufer des kleinen bewaldeten Sees und schaue hinüber. Doch mir fehlt das Boot, um hinüber zu rudern. Aber für eine Phantasiereise reicht es allemal.

Meine Schlüsselfrage, die mich seit Monaten begleitet: Was erfüllt mich? Was gibt meinem Leben Sinn? Für mich sind es drei zentrale Themen: Mittelständischen Unternehmern zu helfen, ihre Stimme zu finden. Die 1:1-Beratung macht mir großen Spaß, Medien sind mein Ding. Ich bin sehr glücklich, dass ich in den letzten Jahren vielen Mittelständlern ganz praktisch helfen konnte, mit ihrer Einzigartigkeit gehört zu werden.

Mein zweites großes Thema ist meine Liebe zu Nordhessen, dem ich mich nach Möglichkeit jeden Freitagvormittag widme. Über die letzten Monate habe ich viele spannende Menschen und Projekte kennengelernt, etliche besucht und manche auch interviewt. Jeden Monat stelle ich zwei Persönlichkeiten auf Nordhessliebe.de vor.

Das dritte Lebensthema sind junge Medienmacher. Mit zwei Freunden bereite ich seit 15 Monaten den Start einer Drehbuch-Akademie vor. Wir haben exzellente Referenten und wollen Studenten qualifizieren, hauptberuflich als Filmemacher und Autoren zu starten.

Welche Hindernisse blockieren mich?

Sicher haben Sie schon einmal zwei konzentrierte Schachspieler beobachtet. Sie sitzen schweigend vor dem Spielbrett und machen minutenlang gar nichts. Ich finde dies ein passendes Bild für das Leben vieler Menschen. Der einzige Unterschied: Die Meisten schauen nicht auf Spielfiguren, sondern auf ihr Handy.

Aus meiner Sicht sind es häufig banale Dinge und Alltagsroutinen, die mich vom Wesentlichen abhalten. Wie schnell sind 30 Minuten vorbei, wenn ich durch meine sozialen Netzwerke scrolle. Mitunter sind es auch spannende Fernseh-Serien, die gleich über Stunden meine Aufmerksamkeit fordern.

Doch das größte Hindernis, das ich meinem eigenen Leben ausgemacht habe, ist die Angst zu scheitern. Sie hat in den letzten Dekaden meines Lebens immer wieder dafür gesorgt, dass ich spannende Projekte nicht angegangen bin und über mitunter über Monate aufgeschoben habe, bis es irgendwann zu spät war.

Die Basecap der Berufung

Bei Bob Goff habe ich einen praktischen Tipp gefunden, wie er verhindert, dass wichtige Lebensthemen auf der Strecke bleiben. Es ist seine Baseballmütze: “Wenn ich das mache, was ich an diesem Tag beabsichtigt habe, setze ich meine Mütze auf. Wenn ich nicht das mache, was ich beabsichtigt habe, nehme ich sie ab.”

Bob Gott beschreibt, dass ihn die Basecap täglich daran erinnert, das Wesentliche zu tun: “Wenn meine Mütze die ganze Zeit ab ist, mache ich etwas anderes. Kein Schuldgefühl, kein Scham daran. Einfach die Mütze abnehmen. Wenn ich wieder das mache, was ich vorhabe, setze ich meine Mütze wieder auf.”

Sein Ziel am Ende des Tages ist es, möglichst oft und lange die Basecap getragen zu haben.

Menschen helfen, ihre eigenen Träume zu leben

Zurück zu meinem Vermächtnis, über das ich in den letzten Monaten immer wieder nachgedacht habe. Neben der Fokussierung auf meine drei Lebensthemen wünsche ich mir, dass Menschen am Ende meines Lebens sagen: Er hat mir seine Gunst geschenkt. Er hat mich zum Lachen gebracht. Er hat mich erkannt, wie ich wirklich bin. Er hat sich transparent und verletzlich gezeigt.

Im Gegensatz zu Bob möchte ich nicht auf der Tom Sawyer Insel meine letzte Ruhe finden. Aber ich wünsche mir, dass Menschen an meinem Grab stehen, denen ich helfen konnte, ihre eigenen Träume zu leben.

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