“Wie wäre es, wenn wir die Begriffe Transformation und Change künftig durch Leben ersetzen?” fragt Dirk von Gehlen, der seit 20 Jahren für die “Süddeutsche Zeitung” arbeitet. Mich inspiriert dieser Ansatz, über meine eigenen Zukunftskompetenzen nachzudenken.

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Der Wandel beginnt bei mir

Im kommenden Jahr feiern wir als Gutshof Akademie unser 30jähriges Bestehen. Ich erinnere mich sehr gut an die Einführung von E-Mails und unsere erste Mitarbeiterin. Eine gestandene Chefsekretärin Anfang 50 mit großer Berufserfahrung. “Ich bleibe bei der traditionellen Kommunikation: Brief und Fax. Mit Mails fange ich nicht mehr an”, sagte sie 2001 in einem Brustton der Überzeugung.

Meine Frau und ich versuchten Sie an das neue Medium heranzuführen, dass wir beide als großen Fortschritt empfanden. Doch sie weigerte sich vehement. Die Mails wurden von ihrer einzeln ausgedruckt, dann mit einem postalischen Brief beantwortet. Wir haben sechs Monate versucht, ihr den Wandel zu erleichtern. Doch sie blieb stur.

Schließlich mussten wir sie vor die Entscheidung stellen: “Entweder Sie stellen sich darauf ein und beantworten die Mails direkt wieder per Mail oder unsere Wege werden sich wieder trennen.” Sie blieb konsequent und entschied sich zur Kündigung, was wir beide bedauerten. Denn menschlich passte sie gut ins Team.

Kurz darauf wurde sie von der Agentur für Arbeit zu einer beruflichen Fortbildung verpflichtet. Sie ahnen schon: Moderne Formen der Bürokommunikation – einschließlich E-Mails. Zwei Jahre später trafen wir uns wieder. Sie konnte lächelnd eingestehen: Nun habe ich mich doch daran gewöhnt.

Chance bedeutet Unsicherheit

Es ist sehr einfach über den technischen und gesellschaftlichen Wandel zu lamentieren. Die Veränderung, die von außen kommt und meine gewohnten Abläufe, meine Glaubenssätze in Frage stellt. Doch wenn ich innehalte, merke ich, dass Veränderung immer auch Unsicherheit bedeutet. Doch will ich mir das wirklich eingestehen?

In den USA haben Drehbuchautoren und Schauspieler monatelang gestreikt. Sie wollten verhindern, dass Künstliche Intelligenz ihre Arbeitsplätze vernichtet. Technisch ist das bereits möglich, dass Programme wie ChatGPT auch Drehbücher verfassen. Oder Avatare in Filmen mitspielen. Der Streik hat Milliarden gekostet und den Autoren und Schauspielern Sicherheit und Schutz eingebracht.

Doch in anderen Bereichen des Wandels wird dies nicht gelingen. Ich muss lernen, mit der Unsicherheit zu leben. Den Wandel umarmen. “Wer sich nicht bewegt, wird bewegt.” Diese Weisheit gilt nach meiner Beobachtung auch weiterhin.

Es gibt ein Sowohl-als-auch

Eine weitere Zukunftskompetenz ist das “hybride Denken”. Bei der Leichtathletik-Weltmeisterschaft in Budapest konnte man dies im Sommer beobachten. Zwei Sportlerinnen: Nina Kennedy und Katie Moon traten zum Stabhochsprung an. Sie erreichten die Jahresweltbestleistung von 4,90 Metern. Doch statt sich einem Stechen zu stellen, entschieden sie sich dagegen und teilten sich die Goldmedaille.

Es gab keinen Verlierer, sondern zwei Gewinner. Dieses Sowohl-als-auch scheint eine wichtige Zukunftskompetenz zu werden. Für Menschen, die ein klares Entweder-Oder lieben, ist das eine Zumutung. Es muss doch einen Sieger geben!

Vielleicht klingt es paradox: Aber in Zukunft werden wir mehr mit Grautönen und Schattierungen leben müssen, statt mit klaren Schwarz-Weiß-Kontrasten.

Mut zu Fehlern

Seit einem knappen Jahr begleitete ich Jasmin beim Aufbau ihrer eigenen Webseite. Jasmin ist Diplom-Ingenieurin und baut sich ein zweites Standbein auf. Für ihre Webseite hat sie genaue Vorstellungen. Das Design, die Farben, Texte, Logos – alles soll perfekt sein.

Allein die Auswahl des Designers erschien wie eine Doktorarbeit. Sie sucht nach einem Masterplan, der perfekten Lösung. Monat für Monat begleite ich sie auf dem Weg. Alle Schritte sind definiert. Doch es geht nur Millimeterweise voran. Sie will keine Fehler machen, sondern alles richtig machen.

Als Berater spüre, wie sehr sie sich selbst im Weg steht. Doch ich will sie nicht drängen. Das Ergebnis: Nach 11 Monaten hat sie mit der Webseite immer noch nicht angefangen. “Wenn alles klappt”, sagt sie, “werde ich 2024 damit starten.”

In unseren Gesprächen wird deutlich: Im Wandel geht es nicht um Perfektion, um richtig oder falsch. Sondern um besser machen. Es ist ein Werde-Weg. Fehler sind erlaubt. Auch bei einer Webseite kann man im Gestalten noch die Bilder, Farben und Texte ändern. Was mir heute noch gefällt, ist vielleicht morgen schon überholt. Was solls. Dranbleiben, weitermachen.

Liebe den Weg, nicht das Ziel

Kürzlich habe ich einen sehr schönen Satz gelesen: “Love the journey, not the destination.” Er beschreibt sehr gut, worauf es in Zukunft ankommt. Ich muss den Weg wertschätzen, statt mich nur auf ein Ziel zu fokussieren. Wie bei einer Reise ist die Vorfreude, die Anreise ein großer Teil des Glückes.

In seinem Buch “Master of Change” schreibt Brad Stuhlberg, dass wir in Zukunft eine “robuste Flexibilität” benötigen. Für ihn ist es die Fähigkeit, die permanente Veränderung zu akzeptieren. Es kommt auf den Prozess an.

Zum Schluss möchte ich noch auf eine Zukunftskompetenz hinweisen, die banal klingt, aber wie eine Königsdisziplin erscheint: Wer auf Veränderung nur reagiert, wird von dem Wandel getrieben. Die eigentliche Kunst liegt darin, selbst den Wandel aktiv mitzugestalten. Lassen Sie mich dies an einer Beobachtung von meinem Wocheneinkauf illustrieren.

Den Wandel aktiv mitgehalten

Jeden Donnerstag gehe ich zum Sport, anschließend einkaufen. Meist zu einem kleinen Handwerksbäcker: Überrascht stand ich vor leeren Regalen. Das Brot war ausverkauft. Ich zog ohne Brot von dannen. Am selben Tag fragte mich die Kassiererin im Lidl, warum ich keine Lidl-App habe. Bei meinem Einkauf hätte ich damit 10 Euro gespart.

Zuerst habe ich die beiden Beobachtungen nicht miteinander verknüpft, dann kam ich ins Gespräch mit einem jungen Mann, der sich mit Software und digitalen Warenströmen auskennt. Beim Zuhören kam mir die Idee: Was wäre, wenn der Handwerksbäcker seine täglichen Verkaufszahlen auswertet und sich an bestimmten Tagen darauf einstellt, dass mehr Brot gefragt wird? Dann könnte er ähnlich wie Lidl an diesen Tagen mehr Brot backen, um die Kundenwünsche zu befriedigen.

Brad Stuhlberg empfiehlt in “Master of Change” zwischen “React und Respond” zu unterscheiden. Wenn ich aufhöre, mich vom Wandel antreiben zu lassen und stattdessen ihn aktiv mitgestalte, werde ich zum Handelnden. Ich bin nicht mehr Getriebener, sondern Akteur, der spürt, dass sein Handeln positive Auswirkungen hat.

Der junge Software-Experte hat sich entschieden, aktiv mit dabei zu sein. Er will den Wandel mitgehalten und einen regionalen Vertrieb aufbauen. Ich wünsche ihm von Herzen, dass es gelingt.