Kürzlich habe ich von einem Seminarteilnehmer ein Buch geschenkt bekommen: “Weisheit des Lebens”. Ich war ziemlich neugierig, wie der Autor Marco Kranjc dieses komplexe Thema aufarbeitet. Zumal es in der Wiley Reihe “für dummies” erschienen ist.

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Warum verdrängen wir die Endlichkeit?

Zum Einstieg in das Buch fing ich mit Kapitel 15 an – “Sterben lernen”. Ich dachte: Mal sehen, was Kranjc als Trainer für interkulturelle Kommunikation dazu schreibt. Zu meiner großen Überraschung fing er mit Spider-Man an. Als 13jähriger Junge “kam der Tod zu mir direkt aus Frau Hildegards Schreibwarenladen.”

Er beschreibt, wie der Tod bis zu diesem Zeitpunkt weit weg war, aber durch den Comic plötzlich für ihn und Hunderttausende Leser zum Thema wurde. Seine Frage auf dem Weg zur Weisheit: Warum versuchen so viele Menschen das Thema Endlichkeit zu verdrängen?

Marco Kranjc erinnert an die siegreichen römischen Feldherren, die bei ihrer Heimkehr nach Rom mit einem Triumphzug gefeiert wurden. “Allerdings nicht, ohne dass hinter ihm ein Sklave stand, der zwar den Siegeskranz hielt, ihm aber auch immer wieder ins Ohr flüstern musste: Denke daran, dass auch du nur ein Mensch bist!”

Reinhard Mey auf Abschiedstour

Ich wurde in der letzten Woche gleich zweifach an das Thema Tod erinnert: Zuerst von Reinhard Mey, der kurz vor seinem 80. Geburtstag auf großer Tournee ist. Gleich zu Beginn seines Konzertes erinnerte er daran, dass sein Karriere vor 50 Jahren in Wien begann. Seine Liedauswahl und auch seine Moderationen waren für mich wie ein “Momentum Mori”. Ein gesungener Abschied.

Etliche Zuhörer waren so berührt, dass sie nach dem Konzert nicht aufstehen wollten. Auch meiner Frau und mir ging es so – wir blieben noch längere Zeit sitzen, um die Tiefe des Gehörten zu verarbeiten.

Auch die Wahl des letzten Tourneeortes vor zwei Tagen schien mir wie ein Ausrufezeichen der Endlichkeit: Wo seine Karriere begann, endete am Dienstag auch die Reise – wieder in Wien. Die zweite Mahnung war vor wenigen Tagen der Anruf eines Neffen. Mein Onkel sei gestorben – wie Mey wäre er im Dezember 80 Jahre geworden.

“Fragt man ältere oder sogar sterbende Menschen nach dem, was sie an ihrem Leben bereuen”, so Kranjc, “begegnet man sehr häufig dem Phänomen, dass Menschen wenig von dem bereuen, was sie getan haben. Was sie letzlendlich viel mehr bereuen, ist das, was sie nicht getan haben.”

Was würde meinem Leben fehlen?

Der Tischler und Theologe Marco Kranjc stellt dazu zwei zentrale Fragen, die mich ins Nachdenken bringen: “Würde Ihrem Leben etwas fehlen, wenn Sie einfach so weitermachen wie bisher? Welche nicht ergriffene Gelegenheit bereuten Sie bis heute?”

Bei der ersten Frage wird mir deutlich, dass ich seit März in einem gravierenden Transformationsprozess stecke. Die Ukrainekrise stellt viele Glaubenssätze auf den Prüfstand und auch mein Leben auf den Kopf. Ich habe mich mit meiner Frau entschieden, nochmals alle beruflichen und privaten Optionen sorgsam abzuwägen. Ein Weiter wie bisher wird es nicht geben.

Wir sprechen seit Wochen und Monaten über alle Lebensbereiche und bewerten auch unsere Alltagsroutinen neu. Was wollen wir weitermachen? Was aus der Hand legen, um sie frei zu haben für Neues?

Fokussieren auf das, was wirklich wichtig ist

Während ich in mich hinein spüre, wird deutlich, was mir wirklich am Herzen liegt: Das sind Medien und mittelständische Unternehmer. Meine Frau und ich haben gemeinsam entschieden, dass wir uns auf eine längerfristige Begleitung von wenigen Menschen fokussieren. Statt kurzer Impulse in einem Seminar, wollen wir uns auf das persönliche Coaching über einen längeren Zeitraum konzentrieren.

So bieten wir ab Januar für eine kleine Gruppe von Führungskräften zum ersten Mal ein berufsbegleitendes Sabbatical für 2023 an. Außerdem ein individuelles Mediencoaching über 12 Monate. Wir freuen uns sehr, dass sich bereits die ersten Teilnehmer angemeldet haben.

Zurück zu Marco Kranjc und der “Weisheit des Lebens”. Er empfiehlt bei der eigenen Bilanz zwei Begriffe auseinander zu halten: Bereuen und bedauern. “Bereuen können Sie Dinge, die Sie getan oder nicht getan haben. Vielleicht haben Sie es sogar noch in der Hand, Fehler wiedergutzumachen oder sich Wünsche noch zu erfüllen. Reue muss kein Endpunkt sein.”

Beim Bedauern empfiehlt er inneren Frieden zu schließen und zwar mit den Dingen “zu denen Sie tatsächlich nie gekommen sind, für die Sie nie das Geld, die Zeit oder die Möglichkeit hatten.”

Das Leben als Fest

Neben der Endlichkeit gibt Kranjc auf 300 Seiten sehr viele praktische Tipps, um das Leben als Geschenk zu begreifen und es als Fest zu feiern. Im Buch geht es auch um die Weisheit des Scheiterns, die Kraft der Demut und um die Kunst, Beziehung zu gestalten.

Besonders wertvoll finde ich seine Buchempfehlungen, die mir persönlich neue Türen eröffnet haben. “Auch ein gutes, weises Leben reiht nicht einfach unendlich Glücksmomente aneinander. Auf der anstrengenden Suche nach dem Glück ist Glück meist das, was man verpasst. Glück ist eher das, was man findet, während man versucht, sein Leben gut zu führen.”

Unvergessen bleibt mir ein Satz meiner ersten Frau mit 37 Jahren – kurz vor ihrem Tod: “Ich habe mein Leben gelebt und das was ich mir vorgenommen hatte, umgesetzt. Ich kann in Frieden gehen.”

Dieses Fazit würde ich am Ende meines Lebens auch gerne ziehen.