In einem Vortrag habe ich die Thesen von Mirriam Prieß kennengelernt. Ihre Erfahrungen als Ärztin in einer psychosomatischen Fachklinik hat sie in einem spannenden Buch zusammengefasst: Darin zeigt sie auf, wie Dialog aus der Erschöpfung führt.

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Nehme ich soviel wie ich gebe?

Im Herbst vor einem Jahr hatte ich das Gefühl nur noch zu funktionieren. Der monatelange Lookdown und die andauernde Unsicherheit hatte mich mürbe gemacht. In der Akademie fehlten dringend notwendige Mitarbeiter, der Staat reglementierte immer mehr den Alltag. Ich kämpfte an mehreren Fronten – doch irgendwie schien es aussichtslos. Mein Problem: Ich hatte das Gefühl für mich selbst verloren.

In dieser Phase erlebte ich den Vortrag von Dr. med. Mirriam Prieß. Ihre Thesen fand ich ziemlich steil: Sie stellte eine direkte Verbindung zwischen meiner eigenen Erschöpfung und dem notwendigen Dialog zwischen Ich, Du und Wir her. Nach ihrer Beobachtung kommt es auf einen gleichmäßigen Austausch und ein Gleichgewicht an.

Ihr Credo: “Ich komme in der Beziehung genauso vor wie du, du kommst darin genauso vor, wie ich und das Gleiche gilt für unser Wir.” Damit dies gelingt, muß ich meine eigenen Bedürfnisse kennen: Was brauche ich, um meiner beruflichen und privaten Rolle gerecht zu werden? Was sind meine Wünsche, wo liegen meine Grenzen und wo habe ich konkret Verantwortung?

Prieß betont: “Erschöpfung und Scheitern finden vor allem deswegen statt, weil diese Fragen nicht gestellt werden.” Bei mir selbst habe ich beobachtet, dass mein Gleichgewicht zwischen Gegen und Nehmen nicht stimmte. Ich habe sehr viel gegeben und war nicht bereit im gleichen Maße auch zu nehmen.

Warum Beziehungen häufig scheitern

Eine weitere Ebene im Dialog-Dreieck ist der Respekt füreinander: Das beginnt bei mir selbst. Achte ich meine eigenen Bedürfnisse? “Ich komme an letzter Stelle, der andere ist wichtiger!” Laut Mirriam Prieß ist dies “ein ganz häufiges Zitat von Burnout-Betroffenen, die sich in ihren Beziehungen erschöpft haben.”

Auf den ersten Blick wirkt es nobel, wenn eine Person ihre eigenen Bedürfnisse hinten anstellt und sich ganz um andere kümmert. Doch auf Dauer ist dies mehr als ungesund. “Hier macht das Ich zwar den anderen und das Miteinander zum Zentrum, aber nur, weil das eigene Zentrum fehlt.”

Prieß empfiehlt einen regelmäßigen Check-up der eigenen Beziehungen: “Komme ich in unserer Beziehung genauso vor wie du? Kommst du genauso vor wie ich und gibt es ein Wir?” Wer diese Fragen nicht ehrlich stellt, vergisst einen zentralen Dialogaspekt.

In ihrem empfehlenswerten Buch “Die Kraft des Dialogs” schreibt die Ärztin: “Je mehr die Person oder die Sache zur Funktion für das eigene Ich werden, um so sicherer folgt die Erschöpfung – sowohl innerhalb der Beziehung, als auch der Beziehung selbst.”

Wenn der gegenseitige Respekt fehlt

Sicher erinnern Sie sich auch an die Begegnung mit Menschen, nach denen Sie sich ausgelaugt und erschöpft fühlen. Ich hatte erst kürzlich so eine Begegnung. Die Leiterin eines Museums lud mich zu einer Krimi-Lesung ein. Ihre Idee klang gut: Sie plane ein Lesung unter dem Sternenhimmel. Dann erwähnte sie in einem Nebensatz, dass auch ihr Mann Krimis schreibt.

Wir telefonierten zwei Mal, um alles zu klären. Dabei lernte ich auch ihren Mann kennen. Unsere Absprache: Ich solle die Lesung im Garten beginnen, anschließend selbst meine Bücher verkaufen. Nach einer Pause würde dann sein Beitrag folgen. Zudem bat mich die Museumsleiterin um ein Foto und eine kurze Pressemeldung, um die Veranstaltung zu bewerben.

Am Tag vor der Lesung kam in der Regionalzeitung eine Ankündigung. Ich war überrascht: Es war eine ganze Seite. Doch im Artikel kam nur der Mann meiner Gastgeberin, sein Buch und die Einladung zu seiner Lesung vor. Erst im Kleingedruckten erschien ein dünner Satz, ich wäre auch vor Ort. Ich musste kurz schlucken: Mit “Fair Play” hatte dies wenig zu tun.

Doch ich war weiterhin neugierig wie der geplante Krimi-Abend unter dem Sternenhimmel laufen würde. Gespannt fuhr ich ins Museum. Die Leiterin überraschte mich mit der Ansage, dass sie eine Buchhandlung für den Verkauf engagiert hatte. Obwohl es ein sehr schöner Sommerabend war, hatte sie ohne Rücksprache den Sternhimmel gegen einem stickigen Saal getauscht.

Auf der Bühne im Saal thronte bereits ihr Mann und verkündete mir: “Ich fange als Erster an.” Als ich die beiden auf unser Telefonate und die Absprachen hinwies, gab es ein lässiges Schulterzucken. Die beiden redeten sich mit Vergesslichkeit heraus. Der Abend lief leider schleppend. Der Krimi-Kollege überzog maßlos die vereinbarte Zeit, die ersten Gäste gingen. Mir blieben nur noch 35 Minuten.

Es brauchte doppelte Energie um in diesem Setting das bereits ermüdete Publikum bei Laune zu halten. Danach fuhr ich frustriert zurück und war mehr als erschöpft. Ich überlege mir, was ich anders hätte machen können? Vermutlich hätte ich bereits nach der einseitigen Pressemeldung meinen Auftritt absagen sollen. Wer von Anfang an das “Fair Play” verweigert und wenig Respekt zeigt, wird diesen Stil vermutlich auch später beibehalten.

Was echte Nähe ausmacht

Mirriam Prieß weist auf ein existenzielles Grundbedürfnis hin: “Gesehen zu werden und als der erkannt zu werden, der ich bin.” Ich glaube dies macht einen wesentlichen Unterschied zwischen weitläufigen Bekannten und engen Freunden aus. Echte Nähe entsteht dann, wenn ich das Interesse meines Gegenübers spüre, wenn ich das Gefühl habe, von ihm in meiner eigentlichen Identität erkannt zu werden.

Doch entscheidend ist für mich eine personale Kommunikation: Das sich beide mitteilen und aufrichtiges Interesse am anderen signalisieren. Wenn diese Form der echten Nähe ausbleibt, lässt auch die Beziehungsqualität nach. Ich habe einen langjährigen Freund, mit dem mich sehr viele tiefe Erlebnisse verbinden. Wenn ich in seiner Region bin, versuche ich alles möglich zu machen, damit wir uns sehen.

Die letzten Begegnungen waren sehr herzlich und gut – nur ein Punkt hat sich über die Jahre verändert: Er redet zu 90 Prozent nur über sich. Seine Familie, die Kinder, der Beruf – sein Leben ist so spannend und facettenreich und er so mitteilsam, dass mir meist die Rolle des Zuhörers zufällt. Sicher fragt er im Laufe der Begegnung auch einmal, wie es uns geht. Doch in letzter Zeit scheint er an einer ehrlichen Antwort nicht mehr so interessiert wie früher.

Unsere Beziehung ist leider in eine Einbahnstraße gelandet. Er genießt es, wenn ich anrufe, aber er meldet sich schon seit einem Jahr nicht mehr bei mir. Er würde sich sicher freuen, wenn ich morgen bei ihm aufkreuze. Vermutlich wäre es herzlich wie eh und je – aber nur in der Rolle des Zuhörers. Das Gleichgewicht unserer Beziehung ist verloren gegangen. Das dialogische Hin- und Her früherer Jahre vermisse ich sehr.

Zurück zum Anfang meines Beitrags: “Ich gebe so viel, wie ich nehme. Ich nehme so viel, wie ich gebe.” Nur wenn der Austausch in beide Richtungen stattfindet, vermeide ich eine Erschöpfung. Durch die genannten Erfahrungen musste ich über die letzten Monate lernen, hier auf ein gesundes Gleichgewicht zu achten.

Bei den wichtigen Herzensbeziehungen thematisiere ich ganz offen das Miteinander. Im Dialog entsteht nach meiner Beobachtung eine gesunde und stabile Beziehung-Qualität, die beiden Seiten Kraft gibt und zugleich vor Erschöpfung bewahrt.