Wer neu anfangen will, muss bereit sein, das vertraute Land zu verlassen. Die neue Welt birgt Risiken in sich. Vielleicht ist das der Grund, warum viele Menschen im alten Trott verharren, statt den Neuanfang zu wagen.

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Ist der Neuanfang erzwungen oder selbst gewählt?

Kürzlich haben meine Frau und ich einen Neo-Western angeschaut: Die Serie 1883 erzählt die Geschichte der Familie Dutton, die von Texas mit einem Siedlertreck Richtung Montana startet. Beim Lagerfeuer träumen sie von der neuen Heimat. Doch niemand von ihnen ahnt, welche Strapazen auf sie warten.

Ich finde, dieser Film passt sehr gut zum Erleben vieler Menschen. Es ist mitunter ein langer Prozess, bis ich bereit bin, neu anzufangen. Gerade bei beruflichen Entscheidungen kann es Monate dauern, bis die Entscheidung wirklich feststeht und ein neuer Weg sichtbar ist.

Für die Psychologin Tatjana Schnell macht es einen entscheidenden Unterschied, ob der Neuanfang erzwungen oder selbst gewählt ist. Wenn ein Angehöriger stirbt, mich mein Partner verlässt oder mir gekündigt wird, bleibt mir keine Wahl. Ich muss mich dem Schmerz stellen und anfangen, mein Leben neu zu gestalten. Doch gerade der Schmerz verhindert oft den Neubeginn.

Fokussiere ich mich auf den Schmerz?

Dazu habe ich in der „Zeit“ kürzlich eine sehr interessante Untersuchung der Universitäten Berkeley und Toronto gelesen. Die Studien haben gezeigt, „solange man sich auf den Schmerz fokussiert, ihn als schlimm erlebt und zu ändern versucht, bleibt man in ihm gefangen.“ Die Psychologieprofessorin Schnell empfiehlt bei erzwungenen Neuanfängen, die Verantwortung zu übernehmen, aus der passiven Haltung in die Aktion zu kommen.

Wie will ich den Weg, der vor mir liegt, jetzt neu gestalten? Ganz anders sind dagegen selbst gewählte Neuanfänge. Hier treffe ich die Entscheidung, wann ich Veränderung zulasse und welchen Weg ich einschlage.

Damit ein Neuanfang gelingt, empfehle ich, eine persönliche Bilanz zu ziehen: Was war an der bisherigen Arbeitsstelle gut? Was möchte ich in meiner neuen Stelle ändern? Ich bin überzeugt, dass dieses kritische Innehalten entscheidend ist. Denn bei jeder neuen Stelle nehme ich meine eigenen Muster und die inneren Konflikte mit.

Einen guten Abschluss finden

Dasselbe gilt auch für meine Beziehungen. Vermutlich prägen mein Schmerz und mein gewohntes Verhalten auch die neue Freundschaft. Wenn ich hier nicht innehalte, kann es sein, dass auch dieser und der nächste Neuanfang misslingen. Mir persönlich helfen in diesen inneren Prozessen meine eigenen Notizen, die ich regelmäßig heraushole, erneut lese und ergänze.

Zudem schätze ich den professionellen Rat von Menschen, denen ich vertraue. Beratern, die außerhalb meines Systems Erfahrung haben und mir ihre Außensicht vermitteln und kritische Fragen stellen. Warum will ich mich verändern? Weshalb lösen manche Menschen bei mir Fluchtgedanken aus? Was habe ich falsch gemacht? Worin haben andere Personen ihren Anteil?

Aktiv den Neuanfang gestalten

Ich bin ein großer Fan von Ritualen, weil sie in einer komplexen Welt manche Dinge ordnen. Wenn ein Mitarbeiter kündigt und einen neuen Weg einschlägt, formuliere ich einen handgeschriebenen Brief oder eine Karte und wähle mit meiner Frau ein Geschenk. Bei Tatjana Schnell habe ich ein sehr gutes Zitat gefunden: „Wenn ich etwas gut abgeschlossen habe, sind die nächsten Schritte nicht panisch. Ich flüchte nicht. Ich gestalte.“

Im Rückblick bin ich dankbar für die Krisen meines Lebens, weil sie einen Neuanfang ermöglicht haben. Die Psychologin Tatjana Schnell empfiehlt, „sich in den Neuanfang reinzufühlen und sich bei jedem Abschnitt auf dem Weg zu fragen: Will ich jetzt so oder so weitermachen?“ Ich finde das eine sehr gute Anregung, um aktiv die Freiräume, die ein erfülltes Leben bietet, bewusst zu gestalten. Dazu gibt es täglich neue Chancen. Es liegt an mir, ob ich sie nutze.