Nun hat es auch Winnetou erwischt: Die ARD will die Filme nicht mehr ausstrahlen, ein Verlag zieht seine Bücher zurück. In den Medien läuft seit Tagen eine heiße Diskussion, die auch die Leserbriefspalten füllt. Ein Sturm im Wasserglas oder eine sinnvolle Diskussion?

Winnetou
Pressefoto zum Film: “Der junge Häuptling Winnetou”

Woke-Wahnsinn und Cancel-Culture

Es hätte so schön sein können: Der Opa (Jahrgang 61) lädt im August 2022 seinen Enkel ins Kino ein. Die beiden schauen sich den neuen Film “Der junge Häuptling Winnetou” an, dann erzählt der Senior, was ihn vor 50 Jahren an den Karl-May-Geschichten fasziniert hat. Die beiden essen Popcorn und fahren gut gelaunt zurück.

Doch jetzt steht das böse Wort “Rassismus” im Raum. Es gibt große Kritik, verletzte Gefühle, der Ravensburger Verlag zieht sein Buch zum Film zurück. Unter dem Hashtag #winnetou wird in den sozialen Netzwerken gestritten. Die Stimmung kocht hoch: Es geht um kolonialistische Stereotypen, um “romantisiertem Völkermord”.

Der Verlag sieht sich genötigt, öffentlich Buße zu tun. “Euer Feedback hat uns deutlich gezeigt, dass wir mit den Winnetou-Titeln die Gefühle anderer verletzt haben. Wir entschuldigen uns ausdrücklich” Jetzt engagiert der Verlag “externe Fachberater”, außerdem “Sensitivity Reader”. Der Verlag will sich “intensiv mit Themen wie Diversität und kultureller Aneignung” beschäftigen.

Nun schluckt der Opa: Im dritten Corona-Jahr wollte er mit seinem Enkel einfach zwei unbeschwerte Stunden verbringen, etwas Ablenkung von Ukraine und Energie-Krise, ein bisschen Nostalgie. Doch das geht nicht mehr in der aufgeheizten Medien-Stimmung. Schnell machen Begriffe wie “Woke-Wahnsinn” und “Cancel-Culture” die Runde. Manche wollen nun den Ravensburger Verlag “canceln”, dort nicht mehr kaufen, weil sie klein beigegeben haben.

War der Rückzug scheinheilig?

Nun meldet sich auch ein Historiker zu Wort: Der Direktor des Karl-May-Museums in Radebeul. Robin Leipold hält die Zurückziehung des Buches für “scheinheilig”. May habe sich klar gegen den Kolonialismus gestellt und sich für den Frieden eingesetzt. “Er war einer der frühen Pazifisten im deutschen Kaiserreich”, betont der Historiker in einem Interview mit der “Welt”.

“Er war einer, der den Kolonialismus extrem kritisch analysiert und verdammt hat”, so Leipold. Auf diesem Hintergrund sei die Reaktion von Ravensburger nicht passend: “Das ist auch irgendwie für mich scheinheilig, sie tun so, als würden sie sich der Debatte annehmen, tun es aber gar nicht.”

Spannend fand ich in diesem Zusammenhang einen Kommentar von Ullrich Riedler in der nordhessischen “HNA”. Er weist darauf hin, dass Karl May als “sächsischer Hinterwäldler vom wahren Leben der indigenen Völker keinen Schimmer hatte.”

Riedler weist darauf hin, dass in den Winnetou-Geschichten immer auch um Werte ging: Die Beziehung von Winnetou und Old Shatterhand “vermittelte gerade jene Werte wie Freundschaft, Gerechtigkeit und Friedensliebe, die auch heute nottun. Wer dies nicht erkennt, hat von Winnetou nichts verstanden.”