Ich denke in letzter Zeit sehr viel über junge Menschen nach: Wer macht ihnen Mut und gibt ihnen Zuversicht angesichts der Negativbotschaften, die täglich in unser Bewusstsein fluten? Nach meiner Beobachtung braucht es reife Menschen, die ihnen positive Perspektiven aufzeigen und Hoffnung machen.

Zuversicht
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Die deutsche Lust am Untergang

Kürzlich bin ich auf ein Buch aufmerksam geworden, das 1954 von Friedrich Sieburg herausgegeben wurde. Obwohl die Essays 70 Jahre alt ist, dokumentiert “Die Lust am Untergang” ein deutsches Phänomen: “Der Alltag der Demokratie mit seinen tristen Problemen ist langweilig, aber die bevorstehenden Katastrophen sind hochinteressant.”

Sieburg formuliert pointiert: “Wenn wir schon mit unserem Dasein nichts Rechtes mehr anzufangen wissen, dann wollen wir wenigstens am Ende einer weltgeschichtlichen Periode stehen. Richtig zu leben ist schwer, aber zum Untergang reicht es allemal.”

Gerade der letzte Satz hat bei mir einen wichtigen Merker gesetzt. Wie es scheint, hat die deutsche Seele eine ambivalente Beziehung zu Unheil und Untergang. Wir fürchten das Verhängnis und schenken dem vermeintlichen Untergang viel zu viel Aufmerksamkeit.

In welches Lied will ich einstimmen?

Am letzten Wochenende war ich in Hamburg zu einem Symphoniekonzert eingeladen. In der Laeiszhalle wurde Beethovens Symphonie Nr. 9 aufgeführt. Zugegeben, live habe den Opus Magnum des Bonner Komponisten noch nie gehört. Ich kenne nur die Häppchen aus dem 4. Satz, die hin und wieder im Radio gespielt werden.

Nun saß ich mit großer Erwartung in meinem engen Sitz, den mein Nachbar mit einem flotten “Genauso eng wie bei Ryan Air” kommentierte. Gewaltig legte das Orchester los, die beiden ersten Sätze kamen mir vor wie Marschmusik, kriegerische Pauken und Trompeten. Es klang wie der Soundtrack zu “Krieg der Sterne”.

Die musikalische Dramatik passte sehr gut zur politischen Weltlage. Erst im dritten Satz setzte etwas Entspannung ein. Bis im vierten Satz das berühmte Motiv “Freude schöner Götterfunken” erklang. Ein gewaltiger Chor aus 60 Sängerinnen und Sängern, dazu vier Solisten. Eine Symphonie der Hoffnung und der Zuversicht.

Für mich war Beethovens Neunte ein musikalischer Denkzettel: In welches Lied, in welchen Satz will ich einstimmen? Ich glaube, das ist die zentrale Frage, die 2024 an jeden von uns stellt. Weide ich mich an der Phantasie eines vermeintlichen Untergangs oder setzte ich auf Hoffnung?

Es braucht eine unbegründete Zuversicht

Keine Sorge: Mein heutiges Plädoyer empfiehlt nun nicht die leichte Heiterkeit eines “positive thinking”. Im Gegenteil, ich glaube wir brauchen “Mut zur unbegründeten Zuversicht”, wie es die Philosophin Thea Dorn kürzlich in der “Zeit” nannte: “Zu dem, was man früher einmal Gottvertrauen genannt hätte.”

Doch dieses Gottvertrauen ist vielen Menschen abhanden gekommen. Stattdessen mutieren etliche Bürger zu “Wutwählern”, die glauben, ihr Leben würde sich verändern, wenn sie der Politik einen “Denkzettel” verpassen.

Ich glaube jeder von uns muss sich entscheiden, ob er “den öffentlichen Raum mit Verbitterung und Hass flutet”, wie Dorn treffend formuliert. Ich persönlich habe mich entschieden, meinen Einfluss zu nutzen, um Mutmachern und Visionären eine Bühne zu bauen. Damit sie jungen Menschen Hoffnung vermitteln.

Die Zukunft positiv in Anspruch nehmen

Von Dietrich Bonhoeffer ist ein Brief erhalten, den er im Gefängnis geschrieben hat – vor seiner Hinrichtung im KZ: “Es ist klüger, pessimistisch zu sein, vergessen sind die Enttäuschungen und man steht vor den Menschen nicht blamiert da.”

Ich finde dieser Satz bringt es sehr gut auf den Punkt. Auch manche Bekannte runzeln irritiert die Stirn, wenn ich ermutigende Beispiele von Menschen erzähle, die positiv die Zukunft gestalten.

Bonhoeffer schreibt weiter: “So ist Optimismus bei den Klugen verpönt. Optimismus ist in seinem Wesen keine Ansicht über die gegenwärtige Situation, sondern er ist eine Lebenskraft, eine Kraft der Hoffnung, wo andere resignieren, eine Kraft, den Kopf hochzuhalten, wenn alles fehlzuschlagen scheint, eine Kraft Rückschläge zu ertragen, eine Kraft, die die Zukunft niemals dem Gegner lässt, sondern sie für sich in Anspruch nimmt.”

Den Charaktermuskel trainieren

Danke Dietrich Bonhoeffer. Lassen Sie mich zum Schluss noch einmal auf das Vorbild der reifen Generation zurückkommen. Ich glaube, es liegt an unserem Vorbild, die Art und Weise wie wir mit Jugendlichen über unsere Gesellschaft, die aktuelle Politik reden.

Thea Dorn hat dazu ein passendes Bild gefunden: “Zuversicht ist nicht das, woran wir uns im Westen in den Jahrzehnten von Freiheit, Wohlstand, Frieden gewöhnt haben. Zuversicht ist (…) ein Charaktermuskel, der trainiert werden muss.”

Ich finde dieses Bild von Dorn genial: “Für jedes Muskeltraining gilt: Ohne Widerstand geht es nicht. So gesehen leben wir in ausgezeichneten Zeiten.”

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen ein gutes Training und ein gesegnetes Osterfest

Ihr Rainer Wälde