Corona verstärkt den Trend zum Landleben. Raus aus der Großstadt – hinaus in die Natur. Dort gibt es viel Raum für gute Ideen und Vernetzung, sofern schnelles Internet vorhanden ist. Mikro-Heimat heißt das neue Buzzword.

Mikro-Heimat
Fotos: Jonathan Linker

Wenn die Bonuspunkte der Stadt ihren Wert verlieren

“Zehntausende haben in diesem Jahr die Koffer gepackt” berichtet das Wochenmagazin “Die Zeit” und veröffentlicht eine aktuelle Studie. Nach einer repräsentativen Umfrage des Meinungsforschunschungsinstituts Civey würde gerne jeder dritte Großstädter aufs Land ziehen.

Gerade während der Pandemie haben sich bei vielen Menschen die Parameter verschoben, was ein gutes Leben ausmacht. “Es gibt ein neues Bedürfnis nach Mikro-Heimat und das zentrale Element der Mikro-Heimat ist das eigene Haus – also etwas sehr Konservatives”, erklärt der Soziologe Heinz Bude.

Doch diese Mikro-Heimat wird in der Stadt zunehmend unerschwinglich. Zudem hat die Krise vor Augen geführt, dass viele Bonus-Punkte des Stadtlebens in der Pandemie eingeschränkt sind. Kultur, Theater, Clubs sind landauf – landab geschlossen. Auch die Nähe zum Flughafen scheint nicht mehr so relevant, in einer Zeit, in der das Homeoffice für viele zur Normalität geworden ist.

Schutz wird wichtiger als Freiheit

Der Soziologe Heinz Bude betont in einem Interview mit der Zeit: “In den nächsten 30 Jahren geht es mehr um Schutz und weniger um Freiheit. Deshalb suchen Menschen einen sicheren, überschaubaren Ort.”

Ilona und ich sind glücklich, dass wir seit vier Jahren in Nordhessen auf dem Land wohnen. Hier haben wir etliche Aussteiger kennengelernt, die bereits früh ihr Leben in der Großstadt gegen das Landleben eingetauscht haben. Die spannende Frage: Wieviele werden es durch Corona in den kommenden Monaten und Jahren noch tun?

Wir beide vermuten, dass der Sog, der seit 30 Jahren für ein starkes Wachstum der Großstädte gesorgt hat, nun gestoppt wird. Zumal sich ein neues Milieu entwickelt hat: Kreative und Freiberufler, die ohne Probleme auch auf dem Land arbeiten können. Sofern sie einen stabilen und schnellen Internetanschluss haben.

Einige HOMEberger auf der “Grünen Woche” in Berlin

Kreative Pioniere auf dem Land

Seit zwei Jahren sind wir Teil eines Netzwerkes von kreativen Pionieren auf dem Land: “HOMEberger” nennen sich die 24 Akteure, die kreativ und nachhaltig leben und arbeiten wollen.

In Zeiten von Corona ist unser Netzwerk gerade ein medialer Hit. Seit Wochen berichten unterschiedliche Publikationen über das Modell der HOMEberger – zuletzt die ARD Tagesthemen in einem ausführlichen Beitrag. Das bestätigt auch die Reportage der Zeit: “Pioniere denken nicht an ihr persönliches Homeoffice-Paradies. Sie wollen vielmehr den ländlichen Raum selbst verändern”.

Auch die Immobilienbranche beobachtet eine Trendwende: “Im Wohnatlas der Postbank ist zu erkennen, dass in einzelnen Landkreisen, zum Beispiel nördlich und südlich von Berlin, die Preise für Häuser um mehr als 40 Prozent gestiegen sind – allein im vergangen Jahr. Zwei Dutzend Landkreise, von Nordhessen über Bayern verzeichnen Steigerungen von mehr als 20 Prozent”, so die Zeit.

Das Landleben neu erfinden

Beim Schreiben dieses Beitrags habe ich mir überlegt, was fasziniert uns beide am Landleben in Nordhessen? Ich glaube, es ist primär das Vertrauen und auch die Gemeinschaft, die es hier gibt. Zudem die Freundschaften, die in der kurzen Zeit gewachsen sind. Sie tragen uns auch in der Pandemie.

Zudem fallen die Einschränkungen der Politik bei uns auf dem Land weniger ins Gewicht. Bereits beim ersten Shutdown konnten wir uns frei bewegen, haben bei unseren Runden ums Dorf täglich auch andere Bewohner getroffen. Wir sind Teil der Gemeinschaft und dennoch kann jeder seinen Wunsch nach Individualität leben.

Emotionale Nähe ist möglich – auch wenn man Abstand hält. Was wir beide spannend finden, ist das gemeinsame Ziel: Wie können wir das Land verändern, das Leben in der Region noch lebenswerter gestalten? Das verbindet uns auch im Netzwerk der HOMEberger. Auf diesem Hintergrund planen wir für 2021 die erste Regionalkonferenz.

Wie geht es Ihnen in Ihrer Region? Welche Pioniere inspirieren Sie in der Pandemie? Ich freue mich auf Ihre Kommentare.