Millionen von Bürgern warten auf das erlösende Wort der Kanzlerin: Wann gibt es eine Lockerung? Im Warten wird mir bewusst: Dahinter steckt die tiefe Sehnsucht vieler Selbständigen und Mittelständler, die schließen mussten, schon bald wieder gebraucht zu werden.

Lockerung
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Wenn Aufräumen nicht mehr genügt

Wer vom Shutdown betroffen wurde und sein Unternehmen in den letzten vier Wochen schließen musste, weiß wie sich die Untätigkeit zuhause anfühlt. Über mein eigenes Chaos der Gefühle hatte ich in der letzten Woche geschrieben. Vielen Dank für 50 sehr persönliche Rückmeldungen. Dieser Beitrag über Trauer hat eine sehr hohe Resonanz ausgelöst.

Ein Journalismus-Kollege berichtet, dass er zum ersten Mal über lange Zeit 24 Stunden daheim ist. Erst jetzt wird ihm bewußt, wie unzweckmäßig er seine Wohnung eingerichtet hatte. Er nutzt die Zeit und räumt sie komplett um. Doch wenn die Arbeit geschafft ist, bleibt immer noch ein schales Gefühl zurück.

Es liegt an unserer Berufung: Im tiefsten Inneren möchte jeder Mensch gebraucht werden. Zu etwas nütze sein. Ist dies wie beim Shutdown über längere Zeit nicht möglich, werden viele unruhig: “Ich kann doch nicht einfach nur zuhause rumsitzen!”

Die Gnade gebraucht zu werden

Von dem Schriftsteller Gunnar Erdmann (1915-1995) habe ich ein passendes Zitat gelesen: Er schreibt wiederholt über “die Gnade, gebraucht zu werden”. Zugegeben, das Wort “Gnade” kennen wir meist nur vom Recht eines Staatsoberhauptes Gefangene zu “begnadigen”. Doch in der eigentlichen Bedeutung steht es für “um Hilfe bitten”.

Ich finde beide Begriffe passen sehr gut in die aktuelle Corona-Krise: Um Hilfe bitten und gebraucht zu werden, sind zwei Zwillinge, die untrennbar zueinander gehören. Doch damit die “Gnade” fließen kann, muss jeder einzelne seine eigene Angst überwinden: Die Angst, um Hilfe zu bitten und auch die Angst, Hilfe in Anspruch zu nehmen.

Allen Bewohnern, die in den letzten Monate unter häusliche Quarantäne gestellt wurden, blieb nichts anderes übrig. Dazu gehört für mich auch eine innere Demut, meine Bedürftigkeit zu äußern und Hilfe anzunehmen.

Danke, dass ist nicht nötig

Im dem aktuellen Shutdown, den ich mit meiner Frau seit vier Wochen auf dem Gutshof erlebe, wird mir bewußt, wie unbedacht ich manche Hilfe auch ablehne. Zu schnell antworte ich “Danke, das ist nicht nötig”, statt mir zu überlegen, dass ich damit auch dem Hilfsbereiten die Chance nehme, selbst gebraucht zu werden.

Mir wird deutlich, dass ich damit auch die Wärme verpasse, die von jeder Hilfe ausgeht. Von Tomas Sjödin stammt der Ausspruch: “Nächstenliebe bedeutet nicht nur, den Schwachen zu unterstützen, sie bedeutet auch, ein Mensch zu sein, der andere aufblühen lässt.”

Gestern Abend hat die Kanzlerin eine erste Lockerung angekündigt: So dürfen ab Montag wieder kleinere Geschäfte, Buchhandlungen und Fahrradgeschäfte öffnen. Diese Lockerung wird zumindest den Einzelhändlern helfen, ihre Kunden zu bedienen. Ich hoffe sehr, dass auch die Bürger diese regionalen Angebote wieder nutzen und den Händeln signalisieren, dass sie vor Ort gebraucht werden.

Dich kann man gebrauchen

Ich erinnere mich an den Ausspruch meines Großvaters, dem ich als kleiner Junge bei Reparaturarbeiten am Schuppen zur Hand ging. Wie stolz war ich, als er mich ansah und sagte: “Dich kann man gebrauchen!”

Bitte verstehen Sie mich nicht falsch: Es geht mir nicht um das Ausnutzen von Menschen, sondern um das Aufblühen. Diese Kraft spüre ich immer dann, wenn ein Mitarbeiter am richten Platz ist, ein Unternehmer seine Berufung leben kann. Ein Selbständiger glücklich seine Kunden unterstützt.

Kürzlich habe ich gehört, dass in unserem Hauptort Frielendorf der Blumenladen Berschauer wieder geöffnet ist. Bei nächster Gelegenheit fahre ich hin, um für meine Frau einige Frühlingsboten zu kaufen. Strahlend steht die junge Inhaberin hinter dem Tresen: “Die Gemeindeverwaltung hat angerufen. Seit wenigen Tagen darf ich wieder aufmachen.”

Auf einmal wird eine Selbstverständlichkeit wie “Überall gibt es Blumen zu kaufen” zu einem kostbaren Geschenk. Vielleicht haben wir 75 Jahre nach dem letzten Weltkrieg so eine Krise gebraucht? Um aus dem Trott der täglichen Unzufriedenheit “alles, immer, überall” in eine neue Wertschätzung für das Alltägliche zu kommen.

Ein Teil vom großen Ganzen sein

Plötzlich ist der feste Arbeitsplatz nicht mehr selbstverständlich, das geregelte Einkommen, die Urlaube, das freie Reisen. Lange Lieferzeiten bei Amazon machen deutlich, welchen hohen Stellenwert der lokale Handel hat. Jetzt merkt der Letzte: Das wir alle ein Teil vom großen Ganzen sind und als Gesellschaft einander brauchen. Genauso wie jeder Einzelne auch selbst gebraucht werden möchte.

Zum Schluss noch ein persönliches Beispiel: Durch den Shutdown bin auch ich in meiner bisherigen Tätigkeit massiv eingeschränkt worden. Seit Wochen überlege ich mir, wo ich in dieser Krise gebraucht werde?

Am Dienstag habe ich mich als Unternehmensberater bei der gemeinnützigen RKW Hessen beworben, um in der Krise mittelständische Unternehmen zu begleiten. Gestern morgen kam die Zusage, dass ich als Berater künftig dazugehöre. Wenn Sie als Unternehmer in der Corona-Krise Unterstützung brauchen, können Sie mich gerne bundesweit anfragen.

Die gute Nachricht: Für vom Coronavirus betroffene Unternehmen können Beratungen zu 100% über die Beratungsförderung des Bundes gefördert werden. Bis zu 4 Tage Beratungsunterstützung (bis zu 4.000,- €) werden kostenfrei geleistet. Die Einzelheiten finden Sie hier. Falls Sie von mir persönlich beraten werden möchten, können Sie als Wunsch auf Ihrem Antrag gerne meinen Namen und die Niederlassung Kassel angeben.