Seit Tagen spüre ich eine tiefe innere Trauer. Meine Berufung als Pionier steckt gerade in einer Sackgasse. Das Leben hier auf dem Gutshof hat eine Vollbremsung gemacht. Die Trauer macht etwas mit mir und ich versuche hin zu hören, was die Botschaft für mich ist.

Trauer
Trauer – Fotos: shutterstock

Der Verlust des gewohnten Lebens

Die Passionszeit bekommt in diesem Jahr eine doppelte Bedeutung: Während Christen sich an Karfreitag an das Leiden Christi erinnern, spüren zahlreiche Menschen einen tiefen inneren Schmerz. Durch die Krise haben viele ihren gewohnten Freiraum und die Kontrolle über ihr gewohntes Leben verloren.

Statt über Ostern zu verreisen oder gemeinsam mit der Familie zu feiern, ist gesellschaftliche Isolation angesagt. Ich glaube, dass diese Ausnahmesituation viele Menschen mit den Verlusten ihres Lebens aber auch mit der Angst vor dem eigenen Tod konfrontiert. Doch das ist vielen gar nicht bewusst.

Ich schreibe eine kurze Nachricht an Gunnar Schröder. Er ist Bestatter in Eutin und Verlust-Experte. Ganz offen schildere ich ihm meine Beobachtungen. Gunnar antwortet schnell: “Die „erste Trauerphase“, das „Nicht wahrhaben wollen“, dauert meines Erachtens deutlich länger als bei dem Tod eines Menschen.” Nach seiner Beobachtung liegt dies an der “Abstraktion des aktuellen Sachverhaltes und der komplexen Variabilität der individuellen Verlustsituationen.”

Wir stecken in einem gesellschaftlichen Trauerprozess

Gunnar Schröder bringt meinen inneren Schmerz sehr gut auf den Punkt. Viele meiner Pläne wurden über Nacht gestrichen. Mein unternehmerischer Radius eingeschränkt. Ich kann meinen Beruf nicht ausüben und verliere zudem mein Einkommen. Dieses Gefühl – da bin ich mir sicher – durchleben aktuell Tausende von Selbständigen.

Gleichzeitig trauert ein wesentlicher Teil meiner Identität. Ich bin Pionier und liebe es, gemeinsam mit meiner Frau neues Land zu erkunden. Doch der Planwagen unserer Existenz steckt momentan im Morast fest. Achsenbruch. Es geht weder vor noch zurück. Das frustriert mich zutiefst.

Der Verlust-Experte Gunnar Schröder bereitet mich emotional auf die nächsten Wochen vor: “Das was demnächst kommen wird und zwar gesellschaftlich kollektiv, ist die „zweite Phase“: das „Aufbrechen zum Teil chaotischer Emotionen“. Ich denke, Du spürst das für Dich bereits. Denn Du bist Dir, aus Deiner visionären Pionierrolle heraus, schon vergleichsweise früh darüber im Klaren, dass ein Verlust stattgefunden hat.”

Die chaotischen Emotionen

Wie bei einem Computer ist mein emotionaler Arbeitsspeicher momentan stark überlastet. Die Seele braucht Zeit, um den Verlust von Freiheit und Kontrolle zu verarbeiten. Gleichzeitig überschlagen sich die Nachrichten. Die Sender produzieren eine Sondersendung nach der anderen. Doch welche Experten haben Recht? Zentrale Grundwerte unserer Demokratie werden außer Kraft gesetzt.

“Es gab noch keine Zeit in meinem Leben, in denen so viele Regeln von außen vorgegeben wurden” bemerkt meine Frau heute beim Frühstück. Wir diskutieren über die europäischen Nachbarn in Ungarn, die aktuellen Notstandsgesetze. Der Präsident wird mit aller Macht ausgestattet, Wahlen ausgesetzt, das Parlament in Zwangspause geschickt.

Das alles löst chaotische Emotionen aus. Auch bei mir. Eine Freundin berichtet gestern, wie wütend sie über die verschlossenen Kirchen an Ostern ist. Warum zieht sich die Kirche jetzt zurück, statt den Menschen in Not beizustehen? Diese Wut entspricht auch den fünf Phasen der Trauer, die Elisabeth Kübler-Ross formuliert hat.

Wie bewahre ich meine innere Heimat?

Mir ist in den letzten Tagen bewußt geworden, wie wichtig es ist, diese Achterbahn der Gefühle aufmerksam wahr zu nehmen. Ich persönlich brauche Zeit, um meine innere Trauer zu spüren und zu verarbeiten. Dabei hilft mir der Austausch mit anderen Selbständigen und Unternehmern.

Als Mann muss ich mich mitunter überwinden, die Gefühle von Schmerz und Trauer zuzugeben und konkret zu formulieren. Ich merke, wie wichtig es ist, hier auch ehrlich einander zu begegnen und voneinander zu lernen. Jeder verarbeitet die Krise auf seine ganz eigene Art.

Vielleicht nutzen Sie die bevorstehenden Ostertage, um Ihrer eigenen Emotionen auf die Spur zu kommen. Was vermissen Sie momentan besonders? Welche Veränderung macht Ihnen persönlich Angst? Was haben Sie verloren?

Positive Bilder stärken

Mir persönlich ist beim Hören auf meine Emotionen bewußt geworden, wie wichtig dabei die innere Heimat ist. Die Spiritualität, mein persönlicher Glaube ist für mich eine zentrale Kraftquelle. Dazu die Freunde und Gefährten, mit denen ich unterwegs bin. Ich bin zutiefst dankbar, dass ich Ihnen auch meine Trauer zeigen kann.

Zum Schluss noch ein persönliches Beispiel aus meinem aktuellen Verarbeitungsprozess: Seit Anfang des Jahres freue ich mich auf ein Wiedersehen mit Paris. Sehr gerne würde ich am Wochenende an die Seine reisen. Jetzt wird mir bewusst, was ich vermisse: Die Künstler und die Cafés am Montmartre.

Beim Abendessen lege ich französische Chansons auf und erinnere mich mit meiner Frau an die letzte Reise. Plötzlich wandelt sich die Stimmung von Trauer in Vorfreude. Spontan tanzen wir in unserer kleinen Küche eine Runde und genießen das Abendlicht. In diesem Moment ist die Krise weit weg und “La Vie Parisienne” ganz nahe.