Keine Sorge: Das wird kein Mit-guten-Vorsätzen-ins-neue-Jahr-Text. Ich habe mir schon vor Jahren abgewöhnt, an Silvester große Vorsätze zu fassen, die Mitte Januar bereits vergessen sind. Stattdessen mache ich mir Gedanken über Mut und Glück. Beides gehört für mich untrennbar zusammen.

Mut
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1. Das eigene Zaudern erkennen und überwinden

Ich beginne mit einem kleinen Beispiel: Vor den Festtagen stand ich im Supermarkt. Vor der Kasse bildete sich eine lange Schlange. Ich hatte Zeit, über die Kassiererin nachzudenken. Überlegte mir, wie es ihr im Stress zwischen dem Einräumen der Regale und dem Kassieren geht. Als ich dran war, überwand ich meine innere Hemmung: „Wie geht es Ihnen heute?“, fragte ich sie.

Sie schaute mich überrascht an. „Ganz okay, obwohl ich schon den ganzen Tag Schädelweh habe.“ Ich dachte kurz nach, wie ich antworten sollte: „Trotzdem fallen Sie mir donnerstags, wenn ich hier zum Einkaufen komme, immer wieder durch ihre positive Ausstrahlung auf.“ Ihr Gesicht hellte sich auf, während sie weiter die Waren über das Band schob. Für einen kurzen Moment schienen die Kopfschmerzen vergessen.

Sie sah glücklich aus. Draußen am Auto, beim Einladen der Lebensmittel spürte ich mein eigenes Glück: Warum machst du das nicht öfter, dachte ich. Natürlich ist es ein Bruch mit den Konventionen und es ist nicht mein Job. Die Liste der Ausreden ist lang. Und doch: ein kleiner Augenblick Mut und, wenn es gelingt, gemeinsames Glück, wenn die Routine des Alltags unterbrochen wird.

2. Neue Wege gehen und unbekanntes Land erkunden

Kürzlich erzählte mir ein junger Mann: „Meine Mutter zieht in die Stadt. Das wollte sie schon lange Mal ausprobieren.“ In seiner Erzählung schwang Anerkennung mit. Häufig sind es junge Menschen, die nach dem Schulabschluss die große Abenteuerlust packt. Doch auch in der Mitte des Lebens erklingt immer wieder der Lockruf des Abenteuers. Mit der Harley auf der Route 66 – das war für viele Silverager ein oft genannter Lebenstraum.

Mit dem Fahrrad über die Alpen oder mit dem Wohnmobil ans Nordkap. Die Liste ließe sich endlos weiterführen. Doch häufig bleiben es Stammtischgeschichten. Man müsste, man sollte – das Zaudern ist schon in den Worten zu erkennen. Woran liegt es, dass viele Träume doch nicht realisiert werden? Häufigste Antwort: Zeit und Geld. Später im Leben: Das geht gesundheitlich nicht mehr.

Natürlich steckt in allem ein Fünkchen Wahrheit. Aber manches Mal spüre ich beim inneren Zuhören: Eigentlich fehlt nur der Mut. Die eigene Komfortzone verlassen, die Prioritäten ändern. Geld sparen, Ausgaben reduzieren – in etlichen Situationen gibt es einen Weg, wenn man nur will. Unvergesslich ist mir eine Filmreise in die Südsee. Ich war unterwegs, um eine neue Reisereportage zu drehen. Auf Bora Bora lernte ich eine 83-jährige Dame aus Berlin kennen.

Wir trafen uns auf einer Jeep-Tour, die über eine holprige und steile Piste auf den Gipfel der Insel führte. Ich hatte Mühe, meine gesamte Filmausrüstung und mich selbst festzuhalten. Doch die ältere Dame jauchzte und schrie vor Glück. Vermutlich hätten viele ältere Menschen den Kopf geschüttelt. In dem Alter einen 20-Stunden-Flug in die Südsee und dann auf eine Jeep-Tour. Doch ihr waren die Bedenken egal. Mut und Glück vereinten sich.

3. Mehr Initiative und Alleingänge wagen

Als wir im Januar vor sieben Jahren nach Nordhessen zogen, überraschte uns die Gleichgültigkeit mancher Bewohner: Seid ihr verrückt, hierher zu ziehen? Wir antworteten keck: Wisst ihr eigentlich, wie schön es hier ist? Vor einem Jahr haben Ilona und ich die Initiative ergriffen und ein neues Online-Magazin gestartet: Nordhessenliebe.de. Darauf stellen wir Menschen und Orte vor, die wir einzigartig und besonders finden.

Mit dieser Webseite wollen wir den Menschen in der Region Mut machen, die eigene Heimat mit dem Blick von außen wahrzunehmen. Natürlich kann das bei einigen Bewohnern zu Irritationen führen. Warum machen die das? Die stammen doch gar nicht von hier! Doch diese Einwände können uns nicht abhalten. Meist ist es egal, wer die Initiative ergreift. Hauptsache jemand macht es.

4. Die Komfortzone verlassen und Neues ausprobieren

Im letzten Jahr entdeckte ich die Anzeige eines bekannten Hollywood-Fotografen. Er lud zu einer Masterclass in Südtirol ein. Seine Fotos kannte ich aus Büchern und Magazinen. Es schien, als ob die halbe Hollywood-Prominenz schon einmal vor seiner Kameralinse stand. Ich wurde sehr neugierig. Eine Woche mit dem Meisterfotografen. Doch dann der Preis und ein Hinweis im Kleingedruckten: ein Tag Aktfotografie.

Ich bin nicht prüde, aber schnell sammelte sich eine ganze Liste mit Ausreden. Gleichzeitig spürte ich eine große Unsicherheit. Obwohl ich seit meinem sechsten Lebensjahr fotografiere – das hatte ich noch nie gemacht. Mein innerer Dialog dauerte eine Woche, bis ich mich endlich zur Anmeldung durchrang. Mir wurde bewusst: Wenn ich Neueland erobern will, muss ich meine sichere Komfortzone verlassen. Die ganze Anreise über spürte ich meine Unsicherheit. Dann das Adrenalin.

Unvergessen das Shooting am zweiten Tag. Aktfotos im Hof eines alten Schlosses. Neugierige Besucher, neben mir zwei Assistenten, die mit großen Reflektoren meinen Regieanweisungen folgten, um das Sonnenlicht in den Schatten zu lenken. Ich war klatschnass geschwitzt, als die ersten Aufnahmen endlich fertig waren. „Zeig mal her“, forderte mich der Hollywood-Meister auf, dann ein anerkennendes Nicken. „Hm, wirklich gut gelungen.“ Ich war erschöpft und stolz zugleich.

5 Risiken eingehen und die Ablehnung einplanen

Wer Neuland betritt, muss mit Widerstand oder Ablehnung rechnen. Letztes Jahr habe ich an meinem Geburtstag sieben Künstler aus der Region zu einem Blind Date und einem leckeren Abendessen eingeladen. Zugegeben eine verrückte Idee. Innerhalb von 48 Stunden haben alle sieben abgesagt. Natürlich war ich zuerst enttäuscht. Aber was soll’s. Ich habe beschlossen, mich davon nicht abhalten zu lassen.

Ich will auch 2024 immer wieder Neuland erkunden. Für meinen Geburtstag im März habe ich mir eine neue Mutprobe vorgenommen. Ich werde Freunde und Bekannte zu einer Vernissage einladen und meine Schwarz-Weiß-Fotos zum ersten Mal ausstellen. Natürlich bin ich aufgeregt und gespannt auf die Resonanz. Doch wie heißt es so schön: No risk – no fun.