Im Urlaub habe ich das neueste Buch von Valentin Groebner gelesen: “Ferienmüde”. Darin schreibt der Professor aus Luzern von der “flächendeckenden Abschaffung der Nahzukunft” und trifft damit ziemlich genau den schmerzenden Nerv. Viele Menschen spüren, dass ihre nahe Zukunft blockiert ist.

Zukunft blockiert
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Die Abschaffung der Nahzukunft

Zugegeben, ich bin ein großer Fan der Bücher von Valentin Groebner. Bereits im letzten Jahr hat mich “Retrololand. Geschichtstourismus und die Sehnsucht nach dem Authentischen” mehr als begeistert. Groebner ist Geschichtsprofessor und Zukunftsdenker, er schreibt blitzgescheit, pointiert und sehr humorvoll. Sein neuestes Buch “Ferienmüde” ist eine aktuelle Bestandsaufnahme in der Corona-Krise und hat mich im Strandkorb zu schallendem Lachen und tiefen Nachdenken verführt.

“Die Abschaffung der Nahzukunft” beschreibt für mich ein Dilemma, in dem momentan sehr viele von uns stecken. Viele Pläne, die wir gemacht haben, wurden über den Haufen geworfen. Aber nicht nur das: Ich persönlich merke, dass sich seit einigen Monaten meine Arbeitskultur verändert hat. Die wichtigste Erkenntnis: Planen ist nach wie vor sinnvoll, aber die tägliche Änderung mehr als wahrscheinlich.

Auf der Rückfahrt von der Nordsee-Insel Juist fragte mich meine Frau Ilona: Wie stellst Du Dir die nächsten drei Jahre vor? Kurz denke ich nach und merke beim Reden sehr schnell, dass ich in den “Alte-Welt-vor-Corona-Modus” zurückfalle. Das Herz will Träume realisieren und Pläne schmieden – aber der Kopf sagt: “Achtung Corona – das geht nicht!” Was soll ich tun, wenn die Zukunft blockiert ist?

Wir denken täglich zwei Stunden an Morgen

Plötzlich sortiere ich wie Aschenputtel “die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen”. Konkret: Diese Pläne lassen sich trotz Corona realisieren, die anderen jedoch nicht.” Groebner schreibt: “Das Wegfallen des Plänemachens war irritierend , weil ich plötzlich merkte , wieviel Zeit ich vorher in der Zone Nahzukunft zugebracht hatte , im Reich des › Ich muss , ich will , ich möchte ‹ “.

Als professioneller Träumer fühle ich mich ertappt: Ich träume selbst sehr viel – zu Tag und auch bei Nacht. Gleichzeitig unterstütze ich auch meine Kunden, dass sie ihre Träume realisieren können. Professor Groebner verweist auf eine Studie: “12 Prozent unserer Wachzeit , also gut zwei Stunden pro Tag , denken wir an Dinge, die erst noch geschehen werden. In unseren Köpfen sind wir temporäre Zukunftsbewohner, auf der Reise nach Irgendwann.”

Das Dilemma: Corona dämpft unsere Sehnsucht, uns das Morgen vorzustellen. Schließlich weiß keiner von uns, wie die Pandemie sich entwickelt. Statt mutig nach vorne denken und zu planen, sind die Gedanken mit tausenden von “Wenn” und “Aber” blockiert.

Zukunft blockiert: Geburtstagsfeiern und Existenzängste

Gestern haben wir einen Tag mit engen Freunden verbracht und gemeinsam über Existenzängste und Geburtstagsfeiern diskutiert. Das Banale und das Existenzielle liegt mitunter sehr nah beieinander. Während die einen durch Kurzarbeit oder fehlende Aufträge von Monat zu Monat jonglieren, überlegen die anderen, ob sie trotz Corona ihren runden Geburtstag feiern.

Vielleicht klingt dieser Spagat für Sie lächerlich. Doch er offenbart für mich einen gravierenden Punkt: Niemand weiß, wie der Herbst wird – weder wirtschaftlich für jeden Einzelnen, noch für unsere Nation. Plan A wurde gestrichen, Plan B funktioniert auch nicht. Macht es Sinn, einen Plan C oder D überhaupt zu denken?

Oder ganz platt: Kann ich heute für eine Geburtstagsfeier im November einladen? Ist das sinnvoll – wenn die nahe Zukunft auf unbestimmte Zeit blockiert ist? Ich persönlich denke, es ist klüger eine große Feier auf den Sommer 2021 zu verschieben – aber ich kann mich sehr gut in den Frust von Jubilaren einfühlen, die an ihrem Festtag alleine in der Wohnung sitzen.

Während Corona neue Apfelbäumchen pflanzen

Valentin Groebner bietet in seinem Buch keine Lösungsansätze für dieses Dilemma an. Deshalb berichte ich an dieser Stelle ganz persönlich, wie ich damit umgehe. Die erste Antwort: Ich halte es mit Luther. “Wenn ich wüsste, dass morgen die Welt unterginge, würde ich heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen“, soll er gesagt haben.

Dieser Satz lässt sich nicht belegbar nachweisen. Doch für mich ist er eine Ermutigung in aller Ungewissheit auch im Herbst und Winter neue Projekte zu starten. In dieser Woche arbeiten Agnes Anna Jarosch und ich an dem vierten Epos-Magazin. Wir wollen Unternehmer zeigen, wie sie gestärkt durch die Krise kommen und ermutigende Beispiele vorstellen.

Meine Frau Ilona und ich bereiten die erste Regional-Konferenz für unsere neue Heimat Nordhessen vor. Gemeinsam haben wir ein neues Buch geschrieben, das im November erscheint. All das sind für uns “Apfelbäume der Hoffnung”, die wir in der Krise pflanzen.

Zukunft blockiert: Bereit für weitere Überraschungseier?

Zurück zur Frage meiner Frau: Neben dem gemeinsamen Apfelbäumchen, die wir beide aktiv pflanzen, stelle ich mich auf weitere “Überraschungseier” ein. Damit meine ich kurzfristige Planänderungen der Politik, der Kunden und meiner Freunde. Wer weiß, ob wir unsere Firma erneut schließen müssen? Ob Kunden-Workshops und private Feiern abgesagt werden?

Da die Nahzukunft unsicher ist, agiere ich spontan wie der Kapitän eines Schiffes, der die Route plant, aber ständig auf Änderungen gefasst ist. Ich sage Termine zu und stelle mich innerlich darauf ein, dass sie wieder gecancelt werden. Ich agiere spontan, bin im unternehmerischen Standby-Modus.

“Schaun mer mal, dann sehn mer scho” – dieses Zitat von Franz Beckenbauer passt gut in den Herbst 2020. Es klingt wage, scheint in dieser Phase der Pandemie lebensklug zu sein. Diese Klugheit und auch die innere Gelassenheit wünsche ich Ihnen für die kommenden Wochen. Gleichzeitig bin ich gespannt auf Ihre Erfahrungen und Kommentare.