Die Hannover Messe bestimmt in dieser Woche die Schlagzeilen: Industrie 4.0 ist in aller Munde. Gleichzeitig steigen viele Ängste auf – bei Selbständigen und Unternehmern: Wie komme ich bei diesen starken Umbrüchen als Mensch und als Firma noch mit?

Industrie 4.0

Anja Förster beim Jubiläumsvortrag 150 Jahre Bernecker

Innovation ist eine Aufgabe für jeden Mitarbeiter, egal in welcher Funktion

Diese These vertritt Anja Förster, die Business-Vordenkerin und Buchautorin. Conrad Fischer, über den ich letzte Woche berichtet habe, hat sie zu seinem Jubiläum eingeladen. Doch Förster legt noch eine Schippe drauf und fragt provokant: “Warum verändern sich Unternehmer erst, wenn sie schon eine Nahtod-Erfahrung machen?”

Die vierte industrielle Revolution ist angebrochen, daran gibt es keine Zweifel. Nach der Erfindung der Dampfmaschine 1.0 kam mit Henry Ford die Autoproduktion am Fließband 2.0 und mit der elektronischen Datenverarbeitung 3.0. Doch künftig werden Roboter in immer mehr Fertigungen und Dienstleistungsbereichen die Arbeit übernehmen. Aus dem Fachkräftemangel kann in absehbarer Zeit ein Mitarbeiterüberschuss werden.

Eiskalte Dusche für jedes Unternehmen

“Die Digital Natives interessieren sich nicht für Dienstwagen”, betont Anja Förster, “die alten Statusversprechen ziehen nicht mehr!” Dann zitiert sie eine Untersuchung des Gallup Instituts zum Engagement der Mitarbeiter in Deutschland: “Der Gallup Engagement Index zeigt, dass nur 15 Prozent der MA in Deutschland mit sehr hohem Engagement dabei sind. Fast der gleiche Prozentsatz – 14 Prozent – haben hingegen innerlich gekündigt. Und der Rest ist irgendwo dazwischen. Die Arbeit wird zuverlässig und pünktlich erledigt, aber ein Großteil des Engagements, der Kreativität und Leidenschaft bleiben zu Hause. Das ist eine wahnsinnige Verschwendung, die wir uns angesichts der riesengroßen Herausforderungen überhaupt nicht mehr leisten können.”

Das Dilemma, das Anja Förster aufzeigt, sollte jeden Unternehmer hellwach machen: “Die meisten Mitarbeiter leben ihre Kreativität nur noch nach Feierabend aus. Diese Verschwendung von Potential können wir uns nicht mehr leisten.”

Damit legt Förster ihren Finger in die Wunde und provoziert weiter: “Der Kapitän alter Schule, der mit einem Fernglas Kurs Nordwest vorgibt, hat ausgedient. Niemand weiß heute, wo wir in drei Jahren stehen. Stattdessen stochern viele im Nebel”.

Angst ist ein schlechter Ratgeber

Der französische Philosoph Paul Valéry hat einmal gesagt: “Was dir am besten gelingt, wird dir unweigerlich zur Falle.” Diese Falle habe ich in meinen letzten 25 Jahren als Selbständiger bereits mehrfach zuschnappen sehen. Nach starken und erfolgreichen Jahren, in denen einzelne Seminarangebote oder Produkte sehr gut liefen, gab es immer wieder auch abrupte Einbrüche. Schmerzhaft musste ich auch als innovativer Unternehmer lernen, dass ich mich zu sehr auf dem Erfolg ausgeruht hatte.

Anja Förster bringt es für mich gut auf den Punkt: “Hüte dich vor vorgefertigten Meinungen. Ich erkenne dabei nicht die Chancen am Wegesrand.” Sie macht Mut, aktiv immer wieder die eigenen Glaubenssätze zu hinterfragen. Ihre These: “Je länger eine Firma am Markt, desto fester die Überzeugungen!”

Doch Panik hilft nicht weiter, oder um mit Förster zu sprechen: “Angst ist ein schlechter Ratgeber.” Stattdessen ermutigt die Rednerin, von Künstlern zu lernen, die ständig viele neue Ideen produzieren: “Habt Mut zu schlechten Ideen, nicht alle sind brilliant!” Dennoch sei es besser alles an Kreativität erst einmal rauszuhauen.

Neue Kultur, die 1000 Ideen hervorbringt

Anja Förster erinnert an Bach, Mozart und Beethoven, die in ihrem Leben extrem viel komponiert haben: “Hohe Qualität ist die Folge hoher Quantität”. Sie empfiehlt mittelständigen Unternehmen, eine neue Kultur zu schaffen, die 1000 Ideen hervorbringt.

Ihr Tipp: “Wagen Sie mit Ihren Mitarbeitern 100 Experimente, starten Sie 10 konkrete Projekte, um eine erfolgreiche Innovation auf den Markt zu bringen.” Dabei verweist sie auf den Staubsauger-König James Dyson, der 5.127 Prototypen gebaut habe, bis einer funktionierte.

Dieselbe Erfahrung machte auch der “Daniel Düsentrieb aus dem Schwarzwald”: Artur Fischer, der mit seinem Dübel und 1.136 Patenten und Gebrauchsmustern weltweit Ansehen gewann. Bereits 2013 habe ich ihm einen Blogbeitrag gewidmet.

Was kann ich tun, das ich so noch nie getan habe?

Anja Förster berichtet, dass sie sich vor jedem neuen Buch, das sie schreibt diese Frage stellt. Mittlerweile sind acht Bücher, die zum Querdenken anregen, auf dem Markt. Sie fordert den Mittelstand in Deutschland auf, komplett umzudenken: “Weniger Perfektionismus, mehr ausprobieren, auch wenn es nicht perfekt ist.”

Natürlich hat jeder Chef und jeder Mitarbeiter auch Angst vor Fehlern: “Wenn ich Neuland betrete, gehe ich ein Risiko ein. Doch Fehler sind die Währung, die ich in die Entwicklung von guten Ideen investiere”, so Anja Förster.

Sie zitiert einen Ausspruch von Alberto Alessi, der in dritter Generation die italienische Designermarke leitet: “Wir sind stolz auf unsere Flops!”. Sie fügt hinzu: “Ein Unternehmen ohne Niederlagen ist kreativ tot.”

Die Mitarbeiter ermutigen, nicht den Mund zu halten

Damit wir in Deutschland auch im Zeitalter der Digitalisierung unseren Wettbewerbsvorteil halten, kommt es darauf an, dass sich alle Mitarbeiter kreativ betätigen können. Nicht nur in der Freizeit, nach Feierabend, sondern auch im beruflichen Alltag.

Anja Förster berichtet von einem Steuerberater, der dies aktiv in seine Unternehmenskultur eingebunden hat: Jeder Mitarbeiter bekommt einmal im Quartal eine Auszeit von 24 Stunden, “um an etwas zu arbeiten, worauf er Bock hat.” Diese Ideen stellt er dann im Team vor und nutzt damit das Spielfeld, das ihm der Chef bietet.

Eine zweite Empfehlung “Ermutigen Sie Ihre Mitarbeiter nicht den Mund zu halten und auch Zweifel zu äußern.” Leider sei dies in vielen Unternehmen nicht die Regel, sondern die Ausnahme, weil ein Betriebsklima herrscht, in dem die Mitarbeiter nichts konstruktiv kritisieren und nichts hinterfragen.

Industrie 4.0: Aktives Querdenken fördern

Anja Förster empfiehlt im Unternehmen “Sicherheitszonen einzurichten, in denen Respekt und Toleranz für Andersdenkende gelebt wird.” Sie macht den Chefs Mut, aktiv das Querdenken der Mitarbeiter zu fördern. In Zukunft komme es darauf, eigene Ideen zu entwickeln und einen eigenen Kopf zu haben.

Ihre Schlussfrage passend zu Industrie 4.0: “Lernen wir so schnell, wie sich die Welt da draußen verändert?” Diese Frage sollten wir uns täglich stellen. Chapeau, liebe Anja Förster für diesen aufrüttelnden Vortrag!