Als Pionier will ich aufbauen, neues Land erobern – doch das geht nicht. Der zweite Lockdown macht mich sprachlos und rüttelt an den Fundamenten meiner eigenen Identität. Mein heutiger Blogbeitrag ist ein persönlicher Wasserstandsbericht.

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Wer bin ich und wenn ja wieviele?

Zugegeben, seit zwei Wochen suche ich nach Worten, um das zu beschreiben, was ich gerade um mich herum erlebe. Auch für das, was in mir selbst gerade passiert. Deshalb habe ich letzten Donnerstag auch keinen Blogbeitrag geschrieben. Der Lockdown hat mich als Selbständiger nochmals in meinen Grundfesten erschüttert. Wer bin ich in dieser Krise?

Meine Identität als Filmemacher ist seit März blockiert. Bereits der erste Lockdown hatte die lange geplanten Projekte auf Eis gelegt. Ich kann sehr gut die Gemütslage von Künstlern nachvollziehen, die auch den zweiten Lockdown wie ein Berufsverbot erleben. In etlichen Einzelgesprächen berichten sie mir, wie es sich anfühlt, nicht mehr auftreten zu dürfen.

Ein zweiter Teil meiner Identität ist der Journalist, der die Hintergründe verstehen und Zusammenhänge erfassen will. Seit März habe ich selbst eine ganze Reihe von Artikeln über Corona und die gesellschaftlichen Auswirkungen gesprochen. Das Thema ist für mich ausgelutscht, die immer gleichen Statistiken und die Panikmache langweilen mich zutiefst.

Der dritte Pfeiler meiner Identität ist der Unternehmer-Berater. Doch diese Kompetenz wird seit März nicht mehr gebraucht. Aktuell liegt die Suche nach Fachkräften auf Eis. Etliche Kunden, die ich begleite haben Kurzarbeit. Sie versuchen die bestehenden Mitarbeiter zu halten, brauchen derzeit aber keine Neuen.

Was macht der Pionier? Der Visionär im Lockdown?

Neben meiner professionellen Rolle als Publizist verstehe ich mich auch als Pionier, der gerne neues Land erkundet. Das ist der vierte Teil meiner Identität. Für diesen Part habe ich seit März Zeit, aber der Pionier braucht auch den Freiraum, um Neues aufzubauen.

Das finde ich in Zeiten von Corona sehr schwierig, weil gerade vieles nicht planbar ist. Dazu ein konkretes Beispiel. Seit Jahresbeginn arbeiten meine Frau Ilona und ich an einer Regionalkonferenz. Wir haben in den letzten Monaten etliche Multiplikatoren und Führungskräfte getroffen und mit ihnen über das Projekt gesprochen.

Dabei formt sich zunehmend auch das Konzept. Es soll drei Konferenzen geben, die 2021 bis 2023 wichtige Vordenker und Akteuere in Nordhessen zusammenbringen, um innovative Projekte in der Region zu entwickeln. Doch die spannende Frage: Wann ist das während der Pandemie möglich? Aktuell planen wir den Juni des kommenden Jahres und wissen doch nicht, ob es klappen wird.

In welcher Welt leben wir nach Corona?

An dieser Stelle meldet sich der Visionär in mir. Ich vermisse in der Politik und auch in den Medien eine Diskussion über die Zukunft unserer Gesellschaft. Wir schauen wie das Kaninchen auf die Schlange, die Angst und die Hiobsbotschaften bestimmen weitgehend den Diskurs. Doch was kommt danach?

Ich persönlich bin sehr neugierig, in welcher Welt wir nach Corona leben werden. Wichtige Wahlen stehen 2021 bevor. Was kommt nach Angela Merkel? Wie entwickelt sich Europa, was passiert in den USA, was in unserer Region? Corona hat deutlich gemacht, wie wir als globale Gesellschaft miteinander verbunden sind. Wie abhängig wir voneinander sind.

Was ich vermisse: Vordenker, die öffentlich ihre Stimme nutzen und eine mediale Plattform bekommen, um ihre Gedanken zu äußern. Warum bestimmen seit Monaten primär die Virologen unsere Schlagzeilen. Wo sind die Soziologen, die Psychologen, die Künstler, die wie Seismografen meist schon früh den Wandel erkennen, die Zukunft sehen?

Wir brauchen Leuchttürme, die Orientierung geben

Meine Überzeugung: In unserem aktuellen Lockdown braucht es Leuchttürme. Menschen, die ihre Stimme gefunden haben. Führungskräfte, die einen klaren Standpunkt einnehmen. Selbständige, die sich nicht scheuen, offen zu kommunizieren. Unternehmer, die keine Berührungsängste vor den Medien haben und wissen, wie sie öffentlich ihre Sicht darstellen.

Ich mache Ihnen Mut, Ihre eigene Sprachlosigkeit zu überwinden. Suchen Sie nach Mutmachern, nach Vorbildern, die Sie weiterbringen und inspirieren. Nutzen Sie den Shutdown zum Dialog über Ihre eigenen Gefühle, Ihre Beobachtungen. Rufen Sie Kollegen an, nicht um zu jammern, sondern um nach gemeinsamen Wegen zu suchen. Nach neuen Projekten, Lösungen, Konzepten, die in der Krise oder danach funktionieren.

Wie auch im ersten Lockdown habe ich jetzt wieder angefangen, täglich Selbständige oder Unternehmer anzurufen und diese Fragen zu stellen. Ich bin neugierig, wie andere mit der Krise umgehen, was sie daraus lernen. Das hilft auch mir, die eigene Sprachlosigkeit zu überwinden und die aktuelle Phase innerlich zu verarbeiten.