Werden die Leitmedien vom Staat bestimmt? Als langjähriger Insider sage ich: Nein. Doch viele Leser und Zuschauer beobachten eine Reduktion der öffentlichen Meinung. Im dritten Teil meiner Serie beleuchte ich die Ursachen und wage einen Blick in die Zukunft der Medien.

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Wenn öffentliche und publizierte Meinung nicht zusammenpassen

Auch mein zweiter Beitrag “Wenn die Medien Politik machen” hat letzte Woche etliche Reaktionen ausgelöst. Die erste Mail kam von einem langjährigen Berufspolitiker in Berlin, der sich für meine differenzierte Darstellung bedankte. Nun möchte ich – angeregt vom Spiegel Bestseller “Die vierte Gewalt” im letzten Teil die Diskrepanz zwischen öffentlicher und publizierter Meinung beleuchten.

Richard David Precht und Harald Welzer haben einen sehr schönen Begriff entwickelt: “Der zappelige Cursor des Zeitgeistes markiert die Idealposition.” Damit beschreiben sie ein journalistisches Phänomen, das zwei gravierende Ursachen hat. Doch bevor ich im Detail darauf eingehe, muss ich auf die Beobachtung vieler Bürger eingehen: Sie fühlen sich ausgegrenzt, weil sie eine andere Position als die des publizierten Zeitgeistes vertreten.

Das ist an sich keine Überraschung: In komplexen Lagen wie der Corona Pandemie oder der Ukraine Krise gibt es kein simples Schwarz-Weiß, kein banales Richtig-Falsch. Die Situation ist unübersichtlich, die Erfahrungen fehlen. Folglich gibt es eine Fülle von Meinungen – oder um im Bild zu sprechen zahlreiche Grautöne. Doch die großen Leitmedien bilden diese Schattierungen nicht oder nur sehr begrenzt ab.

Warum “Geiz ist geil” guten Journalismus vernichtet

Das Dilemma hat Ende der Neunziger Jahre begonnen. Bevor das Internet etabliert war, haben nach Medien Analyse 80 Prozent der jungen Menschen unter 25 Jahren noch regelmäßig Zeitung gelesen. Diese Zahl sank auf 70% dann auf 60%. Mit der Verbreitung des Internets begann der Abstieg der Printmedien. Gleichzeitig wurde “Geiz ist geil” zur Maxime. Warum Geld für Nachrichten ausgeben, wenn es sie im Internet gratis gibt?

2001 gab es eine schwere Rezension im Werbemarkt, es folgte eine Medienkrise, weil die meisten Verlage sparen mussten. Hunderte von Stellen wurden gestrichen. Zeitungen zusammengelegt. Kosten eingespart, Redaktionen verkleinert. “Die Zeitungen und Zeitschriften verloren Millionen Käufer und enorm viele Anzeigenkunden.”

In einer aktuellen Studie der Otto-Brenner-Stiftung geben “62 Prozent der befragten Journalisten an. dass sich die persönliche Arbeitssituation durch Einsparungen verschlechtert habe.” Aktuell gibt es in Nordhessen Zeitungs-Redaktionen, die nur noch mit zwei Mitarbeitern besetzt sind.

Die Selbstangleichung der Medien

Über 20 Jahre gab es Fusionen, um Geld zu sparen. Das führte zu einer starken Konzentration. Gleichzeitig ging auch die Vielfalt von Meinungen unter. Die Medienlandschaft der Nordamerika ist einige Jahre voraus und zeigt an, wohin die Reise auch bei uns gehen wird.

“In den USA kontrollierten 1983 die 50 größten Unternehmen 90 Prozent der Medien”, so der Soziologe Klaus Dörre im Buch “Transformation der Medien”. Er berichtet: “Gegenwärtig sind es nur noch sechs Konzerne, die über 90 Prozent dessen verfügen, was die Bürger über die Medien zu sehen bekommen.”

Neben der wirtschaftlichen Erklärung für eine sterbende Meinungsvielfalt gibt es noch einen zweiten Grund: Die Selbstangleichung der Leitmedien. “Man kann von der Redaktionslinie einer Tageszeitung abweichen – zehn Prozent nach links, zehn Prozent nach rechts, ein Mehr an oppositionellen Geist hat keine Chance und schadet dem eigenen Renommée”, schreibt Klaus Dörre.

Unterdrückt der links-grüne Mainstream gezielt die Wahrheit?

Diese Frage thematisieren Precht und Welzer in ihrem Buch und beleuchten dabei die Rolle der “Neuen Zürcher Zeitung (NZZ)“. Seit einigen Jahren versucht das Schweizer Leitmedium auch in Deutschland neue Abonnenten zu gewinnen, da ein Wachstum im eigenen Land begrenzt ist.

Der Spiegel schrieb 2021 über die Expansion der NZZ: “Chefredakteur Eric Gujer fand spätestens in der Flüchtlingskrise Gefallen daran, den großen Kanton im Norden mit polemischen Kommentaren zu ärgern. Wann immer er gegen die Untote Angela Merkel anschrieb oder die nützlichen Idioten unter den Multi-Kulti-Anhängern geißelte, schossen die Zugriffszahlen aus Deutschland nach oben.

Das Portal Nachrichten-online.eu berichtet: “Die NZZ hatte ihre kleine, rechte Nische gefunden und damit augenscheinlich Erfolg. Vier Jahre nach der Gründung zählt die Deutschlandausgabe 33.000 zahlende Abonnenten, im Vergleich zum Vorjahr ist das ein Zuwachs von über 70 Prozent.”

Nun komme ich zur provokanten Frage, die Precht und Welzer formulieren: “Unterdrückt der links-grüne Mainstream gezielt die Wahrheit?” Aus meiner Beobachtung auch hier ein klares NEIN und ein großes ABER. Das Problem liegt im Konkurrenzkampf zwischen klassischen Medien und Internet.

Medien berichten binär: entweder – oder!

Um Aufmerksamkeit und Reichweite und Klicks zu gewinnen braucht es eine Polarisierung. “Schwierige gesellschaftliche Themen werden dabei rücksichtslos zu Zwei-Postitionen-Fronten verhärtet”, so die Autoren. “Berichterstattung über Themen, die triggern oder trenden nimmt immer mehr Raum ein. Sie ist binär: entweder – oder!”

Damit kommen wir zum Kern: Wenn die Medien viele komplexe Themen auf zwei Meinungen reduzieren, gibt es eine “Verzweiseitigung”. Der Begriff stammt von Klaus Raab.

Konkret: Sagst du Ja oder Nein zur Impfpflicht, zur Einwanderungspolitik, zum Energie-Embargo, zur Waffenlieferung? Doch wie wir in den letzten Monaten schmerzhaft erfahren haben, braucht es Differenzierung und Schattierungen. Doch diese Pluralität und Meinungsvielfalt ist in den letzten 20 Jahren verloren gegangen. Geiz ist eben doch nicht geil – es tötet aus wirtschaftlichen Gründen auch Vielfalt.

166 kuriose Fakten über Sex statt Meinungsvielfalt

Das Ergebnis beschreiben Precht und Welzer pointiert: “In den Leitmedien sind diese mehr als fünfzig Schattierungen von Grau nicht angemessen repräsentiert.” Hier muss sich jeder, der in letzten Jahren seine Abos gekündigt hat, leider auch selbst an die Nase greifen.

Das Geschäftsmodell der Medien setzt auf Quote und Klicks. Wenn 85 Prozent der Nutzer für online-Medien nichts bezahlen wollen, muss man sich nicht wundern, wenn stattdessen “166 kuriose Fakten über Sex” geschrieben werden, weil das eben mehr Werbegeld bringt.

Hinzu kommt eine wichtige Erkenntnis der Webseiten-Betreiber: “Nicht jede richtige, sondern jede Information bringt kurzfristig mehr Follower und Reichweite,” so Klaus Raab. Warum soll ich also Qualitätsjournalismus betreiben, wenn dafür niemand mehr zahlen will?

Mein persönliches Fazit

Das Ergebnis dieser Entwicklung ist im Lokalen schon sichtbar – darüber habe ich vor einigen Monaten berichtet: Das Zeitungssterben wird mit jeder Abo-Kündigung weitergehen. Übrig bleiben die kostenlosen Anzeigenblätter, wenige Seiten, kostengünstig von einem einzigen Redakteur zusammengestellt. Sie dienen als seriöse Verpackung für die 300 Gramm Werbebeilage von Aldi, Lidl und Co, die damit verhüllt werden, um nicht gleich im Papiermüll zu landen.

Es liegt an jedem einzelnen Mediennutzer, ob die verbleibende Vielfalt erhalten bleibt oder die Konzentration zunimmt. Ich persönlich bin ich ein großer Fan von Blogs und Videos, von Podcasts und Netzwerken. Jeder von uns kann heute mit geringen Mitteln seine eigene Plattform starten und seine Meinung kundtun. Auch diejenigen, die seriös und klug argumentieren, finden ihre Fans und Follower.

Gleichzeitig kann jeder Nutzer durch Leserbriefe oder Mails an die Zuschauerredaktionen seine Meinung kundtun. Eine Rückmeldung steht für 1.000 Nutzer. Wenn das viele machen, besteht auch hier die Chance das sich der Meinungs-Korridor weitet und die Grautöne und Farbnuancen zunehmen.

Suchen Sie noch ein meinungsstarkes Medien-Geschenk?

Bevor ich mich für dieses Jahr verabschiede, erlauben Sie mir noch kurz Werbung in eigener Sache: Zur Buchmesse ist mein neuer Roman “Frühlinggrollen” erschienen. Eine spannende und zugleich humorvolle Geschichte im Milieu von Lokalzeitungen, TV und Politik.

“Eine wunderschöne Satire” schrieb einer der ersten Leser. Ein zweiter meint die Dialoge meiner Hauptfigur hätten die Qualität von “Einer flog über das Kuckucksnest”.

Falls Sie sich selbst oder andere beschenken wollen, können Sie die Bücher gerne auch direkt bei mir bestellen – mit einer persönlichen Widmung. Oder Sie unterstützen den Buchhandel von Nordhessen. Alle Verkaufsstellen finden Sie hier.

Ich wünsche Ihnen eine erholsame Weihnachtszeit. Bis zum nächsten Jahr!

Ihr Rainer Wälde